Entwaffnung der Polizisten in Schiffbek und der Wachen in Billbrook und in Horn
Neben der Besetzung der öffentlichen Gebäude und der Einschüchterung der maßgebenden Leute der Gemeindepolitik gehörte die Entwaffnung der Polizisten und gegebenenfalls ihre Verhaftung zum Aufstandsprogramm. Doch da es in Schiffbek, anders als in Hamburg, keine durchgehend besetzten Polizeiwachen gab, die als Zentren potentiellen Widerstands hätten ausgeschaltet werden müssen und aus deren Waffenbeständen die Kommunisten die Menge ihres Kampfgeräts hätten aufbessern können, suchten sie hier die Polizeibeamten in ihren Privatwohnungen auf. „In Hamburg stürmte man Polizeiwachen, in Schiffbek stürmte man die Polizeiwachtmeister“, glossierte der Hamburger Anzeiger zutreffend das Vorgehen der Schiffbeker Entwaffnungstrupps.
Von den 15 für Schiffbek zuständigen Ordnungshütern erwähnen die Gerichtsakten die Entwaffnung von acht Gemeindepolizisten und zwei Landjägern. Die Waffenausbeute für die Kommunisten bei dieser Aktion betrug zwölf Pistolen und drei Karabiner.
Die Aufständischen erschienen in kleinen Trupps von drei bis fünf Leuten, die teilweise ad hoc auf der Straße von befehlshabenden Kommunisten wie Fiete Schulze für bestimmte Einsätze zusammengestellt wurden und von denen in der Regel nur einer eine Waffe trug. Zum Oberlandjäger Jäger gingen zunächst nur die Unbewaffneten hinein und verlangten seine Waffen mit den Worten: „Der Generalstreik ist proklamiert, die Macht ist in den Händen der Arbeiter, geben Sie Ihre Waffen ab.“ Ein anderer ergänzte: „Sie sind entlassen!“ Jäger zögerte, verlangte Ausweise zu sehen, wies auf den Ausnahmezustand hin. Darauf holte man den mit einem Gewehr bewaffneten Kommunisten herein und erhielt nun vom Oberlandjäger einen Karabiner und zwei Pistolen einschließlich Munition.
Das Auftreten der Entwaffnungstrupps gegenüber den teilweise aus dem Bett geholten oder im Schlafzimmer überraschten Beamten war ganz unterschiedlich. Währen in einigen Fällen in ruppigem Ton und mit wilden Drohungen vorgegangen wurde wie „Hände hoch! Jetzt ist Schluss mit Dir! Jetzt ist es soweit!“ und man vier Beamte ins Spritzenhaus brachte, ging es in anderen Fällen eher gesittet zu. Anders als in Hamburg, wo man auf dem Polizeiposten Langenhorn die Beamten, die Bescheinigungen für die ihnen abgenommenen Dienstwaffen verlangten, mit der Bemerkung abspeiste:“ Es ist Revolution und da werden keine Bescheinigungen ausgestellt“, erhielten zwei der Schiffbeker Polizisten unterschriebene Quittungen für ihre Dienstrevolver. Polizeiassistent Ebbersmeyer gab an, nicht bedroht worden zu sein, und der Beamte Kröger berichtete über seine Behandlung als Gefangener: „Ich kann darüber nicht klagen.“ Kröger war gleich am Morgen freiwillig auf dem besetzten Polizeiamt erschienen, wo man ihn entwaffnete und einsperrte.
Der damalige Polizeiassistenz Tillwicks, der in der Hamburger Straße neben dem Haus der Schiffbeker Zeitung wohnte, hatte 50 Jahre später weniger freundliche Erinnerungen an seine Verhaftung: „In der Nacht zum 23. Oktober wurden meine Frau und ich ziemlich unsanft aus dem Schlaf geweckt; man trommelte gegen 4 Uhr morgens heftig an unsere Wohnungstür. Als ich im Pyjama öffnete, standen vor mir 6 bis 8 Mann mit Gewehr im Anschlag. Ihr Anführer schnauzte mich an: „War höchste Zeit, dass du kamst, wollte gerade deine Tür eintreten!“ Dabei leuchteten sie mir mit ihren Taschenlampen ins Gesicht. Ich musste mich schnell anziehen. Dann nahmen sie mich in ihre Mitte und führten mich in der Dunkelheit ab. Ich kannte keinen von ihnen. Sie brachten mich zum Spritzenhaus am Billberg. (Wo heute der Parkplatz des Supermarktes liegt.) In der Arrestzelle war schon ein anderer Schiffbeker eingesperrt. … Bewacht wurden wir von einem älteren Schiffbeker Kommunisten. Dieser war uns als ganz ordentlicher Mann bekannt; es war ihm auch gar nicht wohl in seiner Haut, dass er uns bewachen musste. Er entschuldigte sich so quasi, als er mit uns allein war. Doch das dauerte nicht mehr lange. Bald ging es hier zu wie im Taubenschlag. Man ging und kam, die Zelle war bald gerammelt voll.“
Was den Zeitpunkt und die Anzahl der ihn verhaftenden Kommunisten betrifft, so hat die zeitliche Entfernung von den Ereignissen die gerichtlichen Aussagen des ehemaligen Polizeiassistenten ein wenig ins Schrecklichere korrigiert, wie das denjenigen, die sehr viel später über das damals Erlebte berichten je nach politischer Einstellung regelmäßig unterläuft.
Es gab von Seiten der Polizisten keinerlei Versuche zu bewaffnetem Widerstand, was sowohl einer richtigen Lageeinschätzung entsprach als auch mit der völligen Überraschung der Beamten zusammenhängen mag. Der Truppführer Werner hatte allerdings „den Eindruck gewonnen, als wenn die Beamten, bei denen er Haussuchung vorgenommen hatte, diese Arbeiterrevolution unterstützen wollten.“ Der alte Polizeibeamte Kröger soll sich sogar bei Werner beschwert haben mit den Worten: „Denke Dir, man hat mir meine Waffen abgenommen und will mich verhaften. Ich bin doch selbst Sozialdemokrat, gebe mir meine Waffe wieder und ich kämpfe mit euch.“ Jedenfalls war ihre Entwaffnung für die Polizisten in der damaligen Zeit kein gar so ungewöhnlicher Vorfall. Ähnliches war manchem von ihnen bereits 1918 bei der Revolution, 1919 während der Osterunruhen, 1920 beim Kapp-Putsch oder während der Märzaktion 1921 passiert. Einer der angeklagten Schiffbeker Aufständischen versuchte sich vor Gericht mit dem Hinweis darauf zu rechtfertigen, dass diese Entwaffnungsaktionen nicht in jedem Fall geahndet wurden: „Dasselbe habe ich auch beim Kapp-Putsch getan, als die Reaktion die ‚demokratische‘ Regierung zum Teufel jagte, die uns dann halb verhungern ließ, und man hat mich nicht vor Gericht gestellt.“
An vergangene Gefahren erinnerte sich auch die Besatzung des Polizeipostens Billbrook-West, der gemeinsam mit einer Brothandlung im alten Akzisehaus Billbrookdeich 47 untergebracht war und auf hamburgischen Gebiet lag. „Wir hofften …, dass sie unseren kleinen Posten vergessen würden, wie es auch 1918 der Fall gewesen war.“
Als die Beamten sich morgen um 6.00 Uhr zum Dienst in ihrem Polizeiposten in Billbrook einfanden, waren sie über die Erstürmung der Horner Wache durch die Kommunisten teilweise durch eigenen Augenschein, den sie auf dem Weg zum Dienst gewonnen hatten, unterrichtet. Einer der Billbrooker Beamten war bereits entwaffnet worden, als er kurz nach 5.00 Uhr seinen Tagesrapport bei der Wache 27 in Horn abliefern wollte. Gegen 7.00 Uhr hatten die Kommunisten ihn wieder zurückgeschickt. Zwei andere Beamte wurden durch Straßenkämpfe in Hamburg oder durch Absperrungen daran gehindert, zum Dienst zu erscheinen. Doch die fünf Polizisten und der im Hause wohnende Oberpolizeiwachtmeister und Revierführer fühlten sich zumindest ganz unbedroht: „… draußen war alles ruhig. Die Arbeiter, die von ihren Arbeitsplätzen zurückkamen, gingen wie gewöhnlich ihres Weges und wir hatten den Eindruck, dass man unseren vorgeschobenen Posten unbehelligt lassen würde. Nachdem die Arbeiterin ihre Wohnreviere, größtenteils nach Schiffbek abgezogen waren, war die Straße ziemlich menschenleer.“ An Verteidigungsmaßnahmen dachte man nicht und war wohl auch nicht zu denken. Stacheldraht zum Eindrahten der Wache, wie er andernorts, z.B. in der Horner Wache, wo ihn die Aufständischen benutzten, vorhanden war, fehlte. Die Telefonverbindung war unterbrochen, da es sich lediglich um einen Nebenanschluss der Wache 27 handelte. So harrten die sechs Beamten mit ihren fünf Pistolen der Dinge, die da kommen sollten. Sie kamen um 9.00 Uhr. Unter der Leitung von Hermann Werner betrat ein etwa 20köpfiger Entwaffnungstrupp, bewaffnet mit Pistolen, Gummiknüppeln und Totschlägern das Wachlokal, erklärte, der Generalstreik sei ausgebrochen, und verlangte die Dienstwaffen der Beamten. In der Verweigerung des Befehls „Hände hoch!“ erschöpfte ich der Widerstand der Beamten. Werner: „Die Mannschaften legten von selbst die Waffen auf den Tisch. Ein anwesender Kriminalbeamter ging sogar nach Hause und überbrachte mir den Dienstrevolver.“ Dies tat er allerdings nur, um eine angedrohte Haussuchung zu vermeiden. Die kampflose Kapitulation des Polizeipostens wurde später in dem Disziplinaruntersuchungsverfahren gegen die Beamten gebilligt: „Eine Verteidigung des Wachlokals mit 6 Mann und 5 Pistolen, mitten in der von Kommunisten stark durchsetzten Industriegegend war aussichtslos.“
Die Kommunisten durchsuchten erfolglos die Schränke nach weiteren Waffen, veranlassten die Beamten, das Lokal zu verlassen und ließen den Revierführer in seine Wohnung gehen. Sie selbst blieben noch ca. anderthalb Stunden in der Wache.
Im Ganzen scheint dieser „Wachensturm“, den die Schiffbeker auf Hamburger Gebiet vornahmen, recht friedlich verlaufen zu sein. Der Revierführer erklärte später, er sei nicht belästigt worden; einer der Wachtmeister bezeichnete die Aufständischen sogar als „sehr höflich“.
Mehrere Häuser weiter residierte einsam der Wachtmeister Posekardt als Polizeiposten Billbrook Ost in seiner Wohnung am Billbrookdeich 79. Sein Dienstsäbel und seine Dienstpistole fielen ebenfalls den Kommunisten anheim. Werner soll zu seinen weiteren Aktionen angetan mit dem Säbel des Wachtmeisters Posekardt geschritten sein.
Unterdessen profitierten die Schiffbeker Aufständischen auch von den in der Horner Wache erbeuteten Waffen. Diese Wache, die schräg gegenüber der Einmündung der Pagenfelderstraße und dem Straßenbahndepot an der Horner Landstraße 248 lag, war um 5.00 Uhr morgens von zwei Stoßtrupps der Kommunisten, die sich zuvor in der Wirtschaft von Behn im Hermannsthal gesammelt hatten, in einem unblutig verlaufenen Angriff überrumpelt und entwaffnet worden. Zunächst war ein Doppelposten der Polizei, der anweisungsgemäß das Straßenbahndepot beobachtete, vor der Wache von einem 15 bis 20köpfigen Trupp, der eine fahrende Straßenbahn als Deckung benutzt hatte, überrascht worden. Gleich darauf war ein zweiter Trupp von ca. 30 Mann von der Pagenfelderstraße kommend ins Wachlokal eingedrungen und hatte auch die anderen sieben anwesenden Beamten entwaffnet. Außer den Dienstrevolvern der Wachtmeister fielen wenig später, als ein Teil des Trupps, der inzwischen das Versteck der übrigen Polizeiwaffen erfahren hatte, gegen 6.00 Uhr zurückkehrte, auch noch 20 Gewehre und ein oder mehrere MPs in die Hände der Aufrührer. Gegen 7.00 Uhr wurden die Beamten zum Verlassen der Wache gezwungen und auch die Kommunisten strömten bald darauf nach und nach mit den erbeuteten Waffen auf Schiffbek zu, teils um sich an den dortigen Aktionen zu beteiligen, teils lediglich um den dortigen Genossen die Gewehre der Wache 27 zur Verfügung zu stellen.