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Entwaffnungstrupps ziehen durch die Dörfer

Während die Schiffbeker Aufständischen sich mit den Waffen der Gemeindepolizisten, des Billbrooker Postens und der Horner Wache stärkten, zogen gleichzeitig weitere Entwaffnungstrupps durch alle drei Orte des Amtsbezirks zu Kaufleuten, Bauern und Privatiers, um auch hier Haussuchungen vor allem nach Einwohnerwehr- und Heimschutzwaffen zu halten. Der Arbeiter Behn führte einen etwa 8köpfigen Trupp zur Waffensuche nach Öjendorf. Auf dem Weg trafen sie den dortigen Gemeindevorsteher Bartelsen, den sie nach Waffenbeständen befragten, von denen dieser aber vorgeblich nichts wusste. In der Wirtschaft von Bockholdt wurden vergeblich alle Schränke durchsucht; die ganze Ausbeute bestand aus 100 Zigaretten, die die Kommunisten ersatzweise an sich nahmen. Auch bei einigen Öjendorfer Landwirten bemühte sich der Entwaffnungstrupp ergebnislos. Lediglich beim Hofbesitzer Adolf Schomaker wurde man fündig und stellte dem Landwirt eine Bescheinigung aus mit der Unterschrift: „Proletarische Hundertschaft Krogmann“.

Noch erfolgloser war ein anderes Kommando bei den Öjendorfern. Beim Krämer Zumbeck misslang ihnen bereits das Eindringen, der Krämer Niedermeyer konnte mit Waffen nicht dienen, ebenso wenig wie die Landwirte Hildebrandt und Kratzmann, dessen auf dem Felde arbeitenden Sohn die Kommunisten auch noch nach Waffen durchsuchten. Der Postschaffner Peters, den dieser Trupp beim Öjendorfer Spritzenhaus traf und nach der Lage in Hamburg befragte, gab später an, er habe gehört, wie ein Aufständischer frustriert bemerkte, so bekämen sie keine Waffen, und ein anderer soll erwidert haben: „Dann müssten schärfere Maßregeln ergriffen werden und erstmal einigen der rote Hahn aufs Dach gesetzt werden.“

Angeführt vom Kommunisten Wolter machte sich eine 4 bis 5 Mann starke Gruppe auf den Weg nach Kirchsteinbek, wo sie zunächst den Krämer und Heimschutzangehörigen Adolf Such aus dem Bett holten, ihm zwei Revolver abnahmen und seine Telefonleitung durchschnitten. Der anschließend herausgeklingelte Eisenwarenhändler Martens musste es unter dem Druck zweier vorgehaltener Gewehre geschehen lassen, dass man aus seinem Schaufenster zwei Pistolen und eine größere Menge Patronen mitnahm. Statt der erbetenen Bezahlung händigten die Eindringlinge dem Martens eine Bescheinigung über die Waffen aus. Der Klempnermeister Nicolai, der auch erst unter Androhung von Waffengewalt zwei Gewehre der ehemaligen Einwohnerwehr herausgab, scheint den Kommunisten recht deutlich seine Meinung über diese Aktion gesagt zu haben; jedenfalls saß der Polizeiassistent Tillwicks bald darauf mit ihm in der gleichen Zelle im Spritzenhaus ein. Beim Landwirt Karl Meyer war nur eine Jagdflinte mit Schrotladung zu bekommen und beim Steinbeker Müller und Landmann Adolf Neubauer mussten die Aufständischen vollends unverrichteter Dinge wieder abziehen.

Ein weiterer Trupp konnte in Kirchsteinbek beim Zigarrenarbeiter Hugo Martin ein Gewehr und beim Schmiedemeister Harten eine Schrotflinte requirieren. Zum Kolonialwarenhändler Ellermann kam der Trupp auf 12 Mann verstärkt nach einiger Zeit zurück, um die am Morgen vergebliche Forderung nach Herausgabe von Einwohnerwehrgewehren nachdrücklich zu wiederholen. Der Krämer gab an, die Waffen seien beim Kirchsteinbeker Gemeindevorsteher Schubert in Verwahrung, doch dieser, an den die Kommunisten sich daraufhin wandten, konnte ihnen durch eine Bescheinigung nachweisen, dass die Gewehre bereits nach Schiffbek weitergegeben worden waren, wo sie schließlich auch im Amtshaus von den Aufständischen gefunden und mitgenommen wurden. In der dort befindlichen Steuerkasse erschien beim Obersekretär Winter ein größerer bewaffneter Trupp und verlangte unter Drohungen wie: „Jetzt sind Sie reif!“ die Kellerschlüssel. Ein Arbeiter, dessen Frau die Räume der Amtskasse zu putzen hatte, hatte den Kommunisten den Aufbewahrungsort der Gewehre verraten, die sie dann auch, 10 Stück an der Zahl, im Keller hinter Papierbündeln versteckt entdeckten. Dies war neben den Gewehren aus der Horner Wache der größte Waffenfund, der der Absicherung des Schiffbeker Unternehmens diente.

In Schiffbek selbst waren die Waffensuchtrupps anscheinend weniger aktiv. Zumindest dem Schlosser Loers wurde hier noch ein Gewehr abgenommen und einer der Aufständischen konnte seinen Genossen vier Gewehre seiner Schwiegereltern zuführen. Andere Schiffbeker „brachten zur Vermeidung von Haussuchungen Waffen, die sie hatten, von selbst dem Trupp zu.“

Ein Teil derjenigen, die den Billbrooker Posten entwaffnet hatten, machte sich unter Führung von Hermann Werner anschließend auf den Waffensuche in der Zinkhütte und im Walzwerk, allerdings überall vergeblich. In der Zinkhütte weigerten sich die zunächst angesprochenen Angestellten, Waffen herauszugeben. Der Truppführer drohte, der Betriebsleiter Dr. Menzel kam herbei, um zu vermitteln, schließlich war Werner bereit, Quittungen auszuhändigen. Doch inzwischen waren die gewöhnlich im Pförtnerhaus verwahrten Gewehre unauffindbar versteckt worden. Im Walzwerk, wo die Kommunisten die Wirtin der Werkswirtschaft bedrohten und in der Wohnung des Lagermeisters „die allein anwesende Ehefrau dadurch zu entmutigen versuchten, dass (sie) in das Schlafzimmer eindrangen“, ließen sich gleichfalls keine Waffen auftreiben.

Soweit dies aus den Akten zu ermitteln ist, erbrachten den Aufständischen alle Entwaffnungsaktionen zusammen etwa 45 Gewehre und 40 Pistolen sowie eine oder mehrere MPs aus der Wache 27.

Betriebsstilllegungen und Anwerbung von Sympathisanten

Die Parole vom proklamierten Generalstreik, mit der die Aufständischen ihr Vorgehen vielerorts begründeten und von der nicht ganz klar ist, wie weit die Kommunisten selbst an sie glaubten, musste auch herhalten, um am Morgen die in die Billbrooker Betriebe und in die Jutefabrik strömenden Belegschaften von der Arbeit abzuhalten. An der Roten Brücke, auf dem Fußweg der Jutefabrik, an der Laufbrücke über die Bille und an der Horner Wache wurden die Arbeiter aufgehalten und unter Hinweis auf den angeblichen Generalstreik mit der Bemerkung: „Heute wird nicht gearbeitet!“ zurückgeschickt. Der ehemalige Zinkhüttenarbeiter Erwin Ungureit erinnerte sich 50 Jahre später an diesen Morgen: „… am 23. Oktober 1923 ging ich wie immer frühmorgens um 6 Uhr zur Arbeit nach der Zinkhütte in Billbrook hinüber. Der Weg führte über die Laufbrücke durch den Walzwerkgang, der mit der Zeit den berüchtigten Namen ‚Stinkbüdelsgang‘ bekam. Doch hier war an diesem Morgen der Weg zur Arbeit beendet; hier standen schwerbewaffnete Männer und erklärten uns, dass heute und in der nächsten Zeit nicht gearbeitet werde. Wir sollten uns der Revolutionsbewegung anschließen. Nach ihren Aussagen hätten die Arbeiter überall die Fabriken und Polizeiwachen besetzt. Es werde nur noch eine kurze Zeit vergehen und dann wären die Arbeiter Herren der Lage. … So drehte ich bei und ging nach Hause. … Doch lange hielt es mich nicht zu Hause, ich wollte sehen, was meine Verlobte machte und begab mich auf den Weg zu ihr. Auf den Schiffbeker Straßen standen eine Menge Leute herum. Ein völlig ungewohntes Bild am Vormittag. Das kam daher, dass die Jute-Belegschaft auch nach Hause geschickt worden war, da die Fabrik von den Aufständischen besetzt war.“

Bereits um 7.00 Uhr stand eine große Menschenmenge vor den Toren der Jute, die von Streikposten am Betreten der Fabrik gehindert wurde, In der chemischen Fabrik von Hell & Sthamer wurde gegen 8.00 Uhr ebenfalls die Arbeit niedergelegt und kommunistische Arbeiter forderten die Belegschaft auf, zur Seifenfabrik von Binder & Ketels zu gehen, um auch dort die Arbeitsniederlegung zu erzwingen und die Arbeiter zum Verlassen des Betriebs aufzufordern. Der Pförtner der Seifenfabrik berichtete: „An diesem Tage um 8.10 Uhr vormittags erschienen drei Radfahrer bei mir an der Pforte und fragten, ob gearbeitet würde. Als ich dieses bejahte, sagten die genannten: ‚Nach einer halben Stunde kommen wir wieder, dann muss die Arbeit eingestellt sein.‘ Nach ca. 20 Minuten kam ein Trupp von ca. 500 Personen an die Pforte und verlangte Einlass. Da ich nicht öffnete, kletterten 2 Mann über das Eingangstor und öffneten den Riegel. Die Menge begab sich hierauf vermutlich zum Betriebsrat.“ Die Stilllegung des Betriebs geschah „in Ruhe“. „Dass Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen begangen wurden, habe ich nicht wahrgenommen.“ Gab der Pförtner zu Protokoll.

Auch die Arbeiter der Ruberoid-Werke ließen sich bewegen, in den Ausstand zu treten und den Betrieb zu verlassen. Anderntags war hier die gesamte Belegschaft ausgesperrt.

Wie erwähnt, versuchten die Kommunisten, die von der Arbeit abgehaltenen Fabrikarbeiter als Kombattanten für der Aufstand anzuwerben. Hierzu wurde von der Presse und später auch vor Gericht von einzelnen angeworbenen Aufstandsteilnehmern behauptet, diese Rekrutierung sei gewaltsam geschehen, im Weigerungsfall wäre auf die Arbeiter geschossen worden. Die in der Horner Wache festgehaltenen Polizisten hatten dagegen durchs Fenster beobachtet, „dass vielfach Arbeiter von den Bewaffneten angehalten wurden. Sie alle gingen aber entweder gleich oder nach kurzem Verhandeln ihrer Wege.“ Schüsse seien in diesem Zusammenhang nicht gefallen. Das Gericht bemerkte dann auch, obwohl natürlich interessengeleitet, recht einleuchtend: „Es ist schon sehr unwahrscheinlich, dass Arbeiter hinter Arbeitern hergeschossen haben sollen. … Endlich muss es als kaum verständlich bezeichnet werden, dass man einen Arbeiter, der nur auf äußeren Zwang hin sich zur Teilnahme bereitgefunden hätte, ein Gewehr in die Hand gegeben haben sollte.“ Dies würde aber wohl auch für ein halbherziges Mitmachen „aus Kollegialität, vielleicht auch aus Besorgnis heraus, sich missliebig zu machen, wenn er ablehne“ gelten, wie es das Gericht abschließend unterstellte. Daß sich Teilnehmer an misslungenen Unternehmungen gern anschließend als Verführte und Missbrauchte distanzieren, ist ein auch in größerem Maßstab bekanntes Phänomen. Jedenfalls war die Zahl derer, die sich den Aufständischen anschlossen, nicht unerheblich: „Eine größere Reihe stellte sich … den Aufrührern zur Verfügung.“ Stellte das Gericht später fest und der ADGB klagte noch Ende 1924 in seinem Jahresbericht: „Die Tatsache, dass die Mehrheit der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmerschaft in Schiffbek sich für den kommunistischen Putsch im Oktober des Jahres 1923 missbrauchen ließ“, hätte einen Einbruch in die Schiffbeker Gewerkschaftsarbeit bedeutet, der bis dahin nicht zu beheben war.

Eine ganze Anzahl von Arbeitern stellte sich auch auf eigene Initiative der Aufstandsleitung zur Verfügung, immerhin so viele, dass die Kommunisten in Einzelfällen auf die Unterstützung durch Leute, die ihnen nicht recht vertrauenswürdig erschienen, verzichteten, auf deren Angebot sie dann allerdings später bei den Angriffen der Orpo zurückgriffen. Natürlich hat auch Habedank einen Zeugen, der berichtet: Nach den Besetzungs- und Entwaffnungsaktionen „meldeten sich viele Arbeiter, die als VSPD-Anhänger bekannt waren, bei der Kampfleitung, sie wollten mitarbeiten.“