Der erste Angriff der Hamburger Ordnungspolizei und seine Opfer
Das kommunistische Bollwerk des verschanzten Schiffbek machte auf die Staatsorgane durchaus einigen Eindruck. Der Stormarner Landrat, der seinem Regierungspräsidenten auch die Schiffbeker Unruhen gemeldet hatte, fügte seinem Lagebericht hinzu: „Kommunisten sind Herr der Lage“, und gab die Einschätzung: „Schiffbek muss für heute aufgegeben werden.“ Auch Orpo-Chef Danner bewertete die Schiffbeker Bewegung als ein starkes Potential der Aufständischen und wollte sich einstweilen mit der Wiederbesetzung der Horner Wache als Puffer gegen die Räte-Gemeinde begnügen: „Da die Polizeiwache 27 im Hinblick auf das kommunistische Schiffbek reichlich exponiert und gefährdet erschien, zumal aus Schiffbek bewaffnete Trupps im Anmarsch gegen Hamburg gemeldet und die Anfahrtstraße von Schiffbek nach Hamburg von den Schiffbekern aufgerissen, verbarrikadiert und mit bewaffneten Aufrührern besetzt war, wurde ein ganzes Freihafenrevier und zwar das 13. nach Polizeiwache 27 gelegt, um gegen Schiffbek abzuriegeln und zu sichern.“
Doch mit dem Anrücken des 13. Freihafenreviers rückte auch schon fast das Ende der Schiffbeker Räterepublik heran. Das Revier hatte am Morgen an den Kämpfen um die Wache 43 in der Humboldtstraße in Winterhude teilgenommen und war anschließend zum Entsatz der Wache 28 zum Hammer Deich beordert worden. Als es dort um 9.45 Uhr eintraf, fand es die Wache bereits vom 8. Freihafenrevier besetzt. Zwanzig Minuten später erreichten die Ordnungspolizisten des 13. Reviers auf zwei LKWs und in Begleitung eines Panzerkraftwagens die Wache in Horn. Hier waren die kommunistischen Wachenstürmer schon seit einiger Zeit unter dem Eindruck der Nachrichten über die erfolgreichen Polizeieinsätze vor allem in Hamm in Richtung Schiffbek abgezogen. Nach und nach meldeten sich jetzt die vertriebenen Beamten der Wache 27 und des Billbrooker Postens, vorsichtshalber noch in Zivil, wieder zum Dienst.
Bei einer „Demonstrationsfahrt“ der Orpo zu Aufklärungszwecken, die ein Teil des 13. Freihafenreviers mitsamt dem Panzerwagen gegen 10.30 Uhr „bis zur Wegegabel 1 km südöstlich von Wache 27“, also bis kurz vor die Barrikaden von Schiffbek unternahm, kam es zu einem ersten Geplänkel zwischen Polizei und Aufständischen. Aus einem der rechts der Horner Landstraße hinter einer baumbestanden Böschung etwas tiefer gelegenen Häuser im Schiffbeker Grund und von einigen Schützen, die dort hinter Hecken Deckung suchten, erhielt die Polizeiabteilung „ziemlich lebhaftes Feuer“. Von diesem Vorstoß brachte das Aufklärungskommando zwei Festgenommene mit zur Wache 27.
Als die Schiffbeker vom Vorrücken ihres Gegners erfuhren, begannen sie ihre Kräfte zu sammeln. Gerade hatten 30 bis 40 Bewaffnete beim Kohlenhändler Jührend, der schon am Morgen einen Revolver hatte beisteuern müssen, einen Lastwagen samt Chauffeur requiriert und wollten beim Amtshaus noch einige Kommunisten zu einem Vormarsch nach Horn, wie ihn Danner befürchtete, aufnehmen, als die Nachricht von der Orpo-Besetzung der Wache 27 bei ihnen eintraf. Die Aufständischen begaben sich daraufhin in ihre Stellungen und überließen den LKW dem Chauffeur, der ihn beim Fuhrunternehmer Behn unterstellte und unbrauchbar machte. Gleichzeitig räumten die Kommunisten den Polizeiposten in Billbrook, den sie bis dahin auch immer besetzt gehalten hatten, und um auch die bewaffneten Bewacher aus dem Spritzenhaus zur Abwehr eines erwarteten Angriffs einsetzen zu können, entließ man die Gefangenen: zuerst die Zivilisten, einige Zeit später auch die Beamten. Die Besatzungen der Schützengräben wurden verstärkt, an unübersichtlichen Stellen postierte man Beobachter, die Kirchtürme von Schiffbek und Kirchsteinbek wurden mit Ausguckposten besetzt. Der Aufklärer auf dem Turm der Schiffbeker Kreuzkirche war mit einer Maschinenpistole aus den Beständen der Horner Wache bewaffnet.
Für die zahlreichen, noch heute lebendigen Gerüchte, hier oder sonstwo bei den Kämpfen in Schiffbek sei auf Seiten der Aufständischen ein MG zum Einsatz gekommen, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Danner konnte entsprechende Vermutungen der Staatsanwaltschaft nicht bestätigen und gab an: „Man kann das Knallen von Maschinengewehren und Maschinenpistolen nicht unterscheiden. Von uns gefunden sind Maschinengewehre nicht.“ Auch Rudolf Giffey, der auf kommunistischer Seite dabei war, erklärte alle Erzählungen von Maschinengewehren für falsch: „Hatten sie gar nicht!“
Über den Umfang der tatsächlichen Bewaffnung und Mannschaftsstärke der Kommunisten zu diesem Zeitpunkt lässt sich nur sehr annäherungsweise urteilen. Die aktenkundig gewordene Zahl der aus den Entwaffnungsaktionen stammenden Schusswaffen von 45 Gewehren und etwa 40 Revolvern wird sich durch bereits vorher vorhandene und aus gerichtlich nicht erfassten Requisitionen stammende etwa verdoppeln. Habedank spricht ohne Quellenangabe für den zweiten Aufstandstag, als die Schiffbeker bereits Verstärkung erhalten hatten, von 70 Gewehren, eine Zahl, die unter dem Verdacht steht, vom Leitsatz, je kleiner die Waffenzahl desto größer der Heldenmut, affiziert zu sein. Was die Aufstandsteilnehmer in Schiffbek betrifft, so gibt es Zahlenangaben von 200 bis 1500. Einer von denjenigen, die die Kommunisten nicht nach Hamburg durchgelassen hatten, sprach von 50 bis 60 Mann in den Schützengräben an der Hamburger Grenze. Bei der Einschätzung der Aufstandsbeteiligung ist zu unterscheiden zwischen bewaffneten Kämpfern, deren Zahl sich nach den vorhandenen Waffen bemaß, den sonstigen aktiv beim Graben, Schanzen, Requirieren und Kochen Beteiligten und den Sympathisanten, die nicht mit eingriffen, aber auch keiner Aktion im Wege standen. Die letztere Gruppe entsprach in ihrem Umfang den knapp 2000 KPD-Wählern vom 4. Mai 1924, die mit Sicherheit den Oktoberaufstand gebilligt haben.
Nachdem das Freihafenrevier 13 gegen 11.00 Uhr in die Süderstraße zur Aushebung eines Waffenlagers beordert worden war, das sich dann nur als eine einzelne MP herausstellte und sich während einer Mittagspause in der Stadt gestärkt hatte, traf es am frühen Nachmittag erneut an der Wache 27 ein, von wo es gegen 14.00 Uhr einen Angriff auf Schiffbek einleitete. Es ist nicht klar, ob dieser Angriff eine Eigenmächtigkeit des Revierführers Polizeihauptmann Wittke darstellte oder auf missverständliche Befehle der Polizeileitung zurückging. Danner schrieb in seinem Bericht vom 6. November 1923: „Das 13. Revier unternahm … einen Vorstoß auf Schiffbek, um aufzuklären, kam aber in ein recht übles Feuergefecht, welche ihm erhebliche Verluste kostete. Dieser Vorstoß lag nicht in der Absicht der Führung.“ Dagegen hieß im Tätigkeitsbericht des Revierführers: „Um 1.00 Uhr nachm. fuhr das Revier wieder nach Wache 27, um Schiffbek zu nehmen. 3 Gruppen des 8. Revier, 1 Gruppe des 9. Revier, 10 Beamte Radfahrbereitschaft wurden hierzu mir unterstellt.“ Während der Polizeihauptmann offenbar auf Befehl gehandelt haben will, erweckte Danner den Eindruck eines jedenfalls nicht von ihm zu verantwortenden Missgeschicks. Auf eine tatsächliche Mitverantwortung Danners weist die Tatsache hin, das er die „erhebliche(n) Verluste“, die sein Bericht 14 Tage nach den Ereignissen in Übereinstimmung mit den Zeitungsmeldungen von 24. Oktober noch korrekt benannte, in seinem Buch von 1958 faktenwidrig leugnet und so das Gewicht dieser Polizeiaktion herunterspielt.
Um 14.30 Uhr erhielt das etwa 100 bis 120 Mann starke detachement, das in aufgelöster Formation durch die Horner Landstraße vorrückte, 150 Meter hinter der Abzweigung des Blauen Brückenwegs das erste Feuer. In zwei Umfassungsbewegungen über den Pagenfelder Platz und die Höhen im Norden der Straße sowie über die Billwiesen im Süden, die sich damals noch hinter den Häusern an der Hamburger Straße bis zum Flussufer hinab erstreckten, versuchten die Orpotruppen die Schiffbeker Verteidigungsanlagen zu umgehen. „Die vorgeschobenen Postierungen wurden vertrieben. … Die Aufrührer schossen aus Schützengräben, aus den Häusern, der Kirche und besonders der Fabrik nördlich der Kirche. Gegen die Aufrührer wurde in Sprüngen vorgegangen.“
Die Gefechtsleitung der Kommunisten befand sich bei einem hochstehenden Baum in der Nähe der nördlich der Möllner Landstraße gelegenen Spinnhäuser, der Arbeiterwohnungen der Jute-Spinnerei. Adolf Rembte saß mit einem Fernglas oben im Baum und teilte einer Gruppe von Aufständischen, unter denen sich auch Stanislaus Switalla befand, seine Beobachtungen mit. Den vorderen Schützengraben, den die Kommunisten bald aufgaben, konnte der nachrückende Panzerwagen der Orpo dennoch nicht überwinden. Er drang durch die Ferdinandstraße auf die Kirche vor. Inzwischen bildeten die Aufständischen längs des Rahlstedter Weges eine zweite Verteidigungslinie. Aus den sogenannten Zinkhäusern, Arbeiterwohnstätten, die die Zinkhütte für ihre Meister errichtet hatte, und hinter einem Knick, der auf 500 bis 600 Meter mit Schützen besetzt wurde, die dort hinter einem ½ Meter hohen Erdwall eine gute Deckung fanden, schossen die Kommunisten unentwegt auf ihre Widersacher.
In ausgeschwärmter Schützenlinie rückten die Polizisten zum Rahlstedter Weg vor. Unterdessen hatte der Revierführer den Chef der Ordnungspolizei, also Danner, angerufen und um Verstärkung gebeten, die dieser jedoch verweigerte: „Zu dieser Stunde war die Lage in Barmbek noch äußerst gespannt. In Rothenburgsort und St. Pauli waren Plünderungen im Gange. Die Ablösung im Hafen war noch nicht durchgeführt. Für eine gründliche Befriedung Schiffbeks standen Kräfte daher nicht zur Verfügung.“ Polizeihauptmann Wittke musste sein bis dahin erfolgreiches Unternehmen abbrechen: „Als der linke Flügel auf 100 m an die Aufrührer heran war, erhielt ich durch das eintreffende Panzerauto um 4.00 Uhr nachm. den strikten Befehl, mich sofort vom Feinde zu lösen und an Wache 27 zurückzukehren. Die Umfassung der Aufrührer musste ich infolgedessen aufgeben und musste mich mit einem Vertreiben des Gegners begnügen.“
Zuerst wichen die Kommunisten südlich der Hamburger Straße zurück, wo sie der rechte, über die Billwiesen vorgerückte Flügel der Polizeieinheitenvertrieb, der gegen 4.45 Uhr das Spritzenhaus am Billberg erreichte. Ein einzelner Leutnant wagte sich sogar bis zum Postamt vor, also etwa 200 Meter hinter der großen Wagenbarrikade vorm Chausseehaus, die von der Orpo beseitigt wurde. Der linke Flügel war um 4.30 Uhr bis zur Kirche vorgedrungen, ein LKW rückte mit den zurückgelassenen Teilen des detachements nach, und nun gaben die Aufständischen auch die Verteidigungslinie am Rahlstedter Weg auf. Von nachgeschickten Polizeipatrouillen verfolgt, zogen sie sich nach Öjendorf und Kirchsteinbek zurück. Auf einem Rübenacker am Öjendorfer Weg vergruben mehrere Kommunisten ihre Waffen. Einem des Weges kommenden Mann riefen sie drohend zu, wenn er etwas verriete, wisse er ja Bescheid. Einige ließen ihr Gewehr auch in den Wohnungen der Zinkhäuser stehen, von denen aus sie geschossen hatten und nahmen sie hier später wieder an sich.
Die Polizeitruppe sammelte sich gegen 18.00 Uhr Ecke Washingtonallee und Horner Landstraße und fuhr auf LKWs unter Mitnahme von vier Gefangenen, die bei der Durchsuchung der Zinkhäuser zum Teil noch mit der Waffe in der Hand festgenommen worden waren, zur Wache 27 zurück. Um 20.45 Uhr löste das 11. Freihafenrevier, das an den Kämpfen am folgenden Tag teilnehmen sollte, das 13. Revier ab und bezog die Horner Wache.
Bei diesem Einsatz waren die Polizeiwachtmeister Otto Formeseyen und Walter Günther getötet worden, Polizeiunterwachtmeister Wilhelm Pagel erlag eine Woche später im Marienkrankenhaus seinen Verletzungen durch einen Bauchschuss; vier weitere Beamte wurden zum Teil schwer verletzt.
Über die Seite der Aufständischen meldete der Tätigkeitsbericht des Revierführers: „Nach Angaben der Sanitäter hatten die Aufrührer 5 Tote und etwa 15 Verletzte.“ Um die Opfer der Kämpfe kümmerte sich der Schiffbeker ASB. Der als Melder eingeteilte Erich Gutschmidt war auf einem kleinen Motorrad durch Schiffbek gefahren und hatte seine Kollegen an die Stellen beordert, wo Hilfe gebraucht wurde. Mit einem Leichtlieferwagen waren die Verwundeten dann zum Verbandsplatz transportiert worden.
Die Angabe von fünf toten Aufrührern, die der Bericht des 13. Reviers enthält ist unzutreffend, da die Anzahl vermutlich höher liegt und außerdem keineswegs alle Opfer zu den Aufständischen gehörten. Unter ihnen war Marie Lose, Mutter von sechs Kindern und Frau eines Zinkmeisters, die in einem der Zinkhäuser den Tod fand. Die Schiffbeker Zeitung berichtete darüber am 25. Oktober 1925: „(Frau Lose erhielt) in ihrer Wohnung eine tödliche Verletzung durch ein Geschoßstück, das von einer Kugel stammte, die erst durch das Fensterkreuz im Nebenzimmer, dann durch die Tür gegen einen Kleiderschrank geflogen und hier zersplittert und zurückgeprallt war. Das Geschoßstück traf Frau Lose am Oberschenkel und zerriss die Schlagader. Als der Mann seine umsinkende Frau auffangen wollte, bemerkte er den großen Blutverlust, der nach kurzer Zeit den Tod zur Folge hatte, ohne dass Hilfe möglich war.“
Ein Monteur namens Biemann wurde in einem Hausflur an der Hamburger Grenze stehend von einer verirrten Kugel ereilt und starb gleich darauf in der Wohnung eines Aufständischen, in die man ihn geborgen hatte.
Über den Tod des 12 oder 13jährigen Schülers Feder erzählte Hans Buck 1973: „In meiner Nähe stand ein ungefähr 13 Jahre alter Junge. Plötzlich sackte er, ohne einen Laut von sich zu geben, zur Seite. Er war von einem auf dem Pflaster abgeprallten Querschläger getroffen. Darauf liefen die meisten weg. Ernst Jenkel, der den Vorfall beobachtet hatte, bemühte sich sofort um den Jungen. Aber seine Bemühungen waren umsonst; denn wie sich herausstellte, war der Junge direkt ins Genick getroffen.“
Ebenfalls auf offener Straße wurde der Arbeiter Kriwolawek tödlich verletzt. Ein Aufständischer brachte ihn zum Hause des Hofbesitzers und stellvertretenden Schiffbeker Gemeindevorstehers Jenkel, das an der Hamburger Straße gegenüber der Einmündung des Weges zur Kreuzkirche lag. Während die Schiffbeker Zeitung auch Kriwolawek für ganz unbeteiligt hielt, sagte Ernst Jenkel vor Gericht aus, „dass die Kugel aus der Richtung der Kirche kam, die von den Kommunisten besetzt war. Die Beteiligten hätten selbst an dem betreffenden Tag gesagt, der Tote sei von den eigenen Kameraden erschossen worden.“ Dabei bleibt zu bedenken, dass die Kirche im Laufe der Kämpfe ja auch von der Orpo eingenommen wurde.
Schließlich fiel noch der „Feinmechaniker Hermann Hellmuth“ den Kämpfen zwischen Polizei und Kommunisten am ersten Aufstandstag zum Opfer. Über diese fünf hinaus, die auch in den Akten zum Aufstandsprozess aufgeführt werden, sprach die Schiffbeker Zeitung noch von einer zweiten Frau, die „in ihrer Wohnung … von irrenden Kugeln getötet“ wurde, und der Chronik der katholischen Kirche von Schiffbek ist zu entnehmen: „Von den Sipo-Mannschaften erhielt ein Katholik aus Nordstrand einen Bauchschuss und starb im Gemeindehaus.“