Wohnungsbau
Durch die Luftangriffe der Alliierten im Zweiten Weltkrieg waren in Hamburg 61% des Wohnraumes zerstört worden. Der Trümmerschutt, der außerhalb des Hafengebietes den Wiederaufbau erschwerte, wurde 1945 auf 40 Millionen Kubikmeter geschätzt. Zugleich war der Bevölkerungsdruck erheblich. Lebten bei Kriegsende ungefähr eine Million Menschen in der Stadt, so waren es 1947 bereits wieder 1,5 Millionen, ehe 1954 mit 1,7 Millionen der Vorkriegsstand und 1964 das bisherige Maximum von 1,9 Millionen erreicht wurde. Viele Menschen lebten in Notunterkünften, in Baracken, Nissenhütten, Schrebergärten, Kellern und notdürftig wetterfest gemachten Ruinen. Auch in den intakten Wohnungen waren die Verhältnisse durch Einquartierung oder die Aufnahme von ausgebombten bzw. vertriebenen Angehörigen häufig sehr beengt. Vielfach hatten Familien nur einen einzigen Raum zur Verfügung.
Um die Wohnungsnot zu lindern, wandte sich die Politik zügig dem Wiederaufbau zu. Bereits 1952 waren 20 Millionen Kubikmeter Schutt beseitigt. Jedoch wollte man gesünderen Wohnraum schaffen, als er überwiegend vor dem Krieg existiert hatte, und das bedeutete vor allem mehr Licht und Luft. Schnell besann man sich auf die Gebiete, die erst im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes vom 26. Januar 1937 zur Hansestadt gekommen waren und häufig wesentlich dünner besiedelt waren als das alte Stadtgebiet
Zu diesen Gebieten gehörte auch das stadtnahe Billstedt, das neben vielen freien Flächen über eine gewisse Infrastruktur und Verkehrsanbindung verfügte. In welchem Ausmaß in Billstedt nach dem Zweiten Weltkrieg Wohnraum geschaffen wurde, lässt sich gut an der Einwohnerzahl ablesen: Waren es 1950 etwa 23.000, so hatte sich ihre Zahl im Jahr 1970 mit 46.000 bereits verdoppelt. Der weitere Anstieg auf die heutige Zahl von rund 68.000 entfiel fast ausschließlich auf die Großsiedlung Mümmelmannsberg mit ihren 7.000 Wohnungen, die bis 1979 fertiggestellt wurden. Noch beeindruckender wird die Bilanz, wenn man berücksichtigt, dass es seit 1937 nur wenig Wohnungsbau in Billstedt gab, die Einwohnerzahl aber trotzdem bis 1950 um knapp 10.000 zugenommen hatte, die Wohnverhältnisse also überwiegend sehr beengt und unzulänglich gewesen sein dürften.
Ein Großteil der seit 1950 neu geschaffenen Wohnungen entstand im Rahmen des öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaus. Daneben gab es aber auch Fälle wie die sogenannte Vogelsiedlung, wo städtischer Grund mit Kleinstreihenhäusern und Doppelhäusern bebaut und in Erbpacht vergeben wurde, sowie die weitreichenden Areale entlang des Schiffbeker Weges, wo sich nach und nach Laubenkolonien und ehemalige Ackerflächen zu Einzelhausgebieten wandelten.
In Billstedt gibt es Beispiele für sämtliche Phasen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus in Hamburg während der ersten drei Jahrzehnte nach Gründung der Bundesrepublik: ausgehend von der bereits erwähnten Vogelsiedlung über kleinere, aus Schüttbeton errichtete Anlagen wie am Mehrenskamp und an der Washingtonallee, architektonisch und städtebaulich ambitioniertere Komplexe wie den im typischen Gelbklinker der späten 1950er Jahre errichteten Siedlungen in der Möllner Landstraße, die im für die 1960er Jahre charakteristischen roten Backstein ausgeführten Zeilenbauten der Öjendorfer Höhe, die in Fertigteilbauweise errichteten Siedlungen Sonnenland und Archenholzstraße bis hin zur gleichfalls schon angesprochenen Großsiedlung Mümmelmannsberg.
Schüttbeton
Die ersten Siedlungsneubauten der Nachkriegszeit wurden überwiegend aus Schüttbeton mit Trümmersplitt-Beimengung erstellt. In Billstedt dienen sowohl die Siedlung Mehrenskamp aus den Jahren 1952/53 als auch die Wohnanlage Washingtonallee von 1954/55 als Beispiel.
Beide zeichnen sich durch kleine, schlichte Wohnungen, Putzfassaden, Flachdächer und Laubengangerschließung aus. Dies war eine besonders kostengünstige Bauweise. In einer zeitgenössischen Publikation heißt es über den Komplex an der Washingtonallee, der ursprünglich mit weißen Stirnseiten und kräftig-farbigen Fronten ausgeführt worden war, dies sei ein Projekt, „bei dem es gelang, mit geringsten Kosten auch gestaltungsmäßig ein eindrucksvolles Bauwerk durchzuführen.“ Mittlerweile werfen die Bauten jedoch Sanierungsprobleme auf, da der Beton durch die Trümmersplitt-Beimischung porös wird.
Gelbklinker
Charakteristisch für viele Neubauten der 1950er Jahre in Hamburg ist ein heller Gelbklinkerstein. Die bekanntesten Vertreter sind zweifellos die Grindelhochhäuser, die sinnbildlich sind für den Wiederaufbau überhaupt. Aber auch in Billstedt finden sich gleich mehrere interessante Beispiele. Besonders markant ist die Bebauung, die zwischen 1956 und 1961 beiderseits der Möllner Landstraße auf Höhe der heutigen U-Bahn-Haltestelle Merkenstraße geschaffen wurde.
Im einzelnen handelt es sich dabei um rund 200 zweigeschossige Reihenhäuser, die durch einige mehrgeschossige Laubenganghäuser und ein kleines Ladenzentrum samt Bücherhalle ergänzt wurden, zum anderen um die sogenannten Prignitz-Bauten, deren Mittelpunkt durch fünf achtgeschossige Punkthäuser gebildet wird. Insgesamt umfasst dieser Komplex rund 1.300 Wohnungen. Während die Prignitz-Häuser in freier Trägerschaft errichtet wurden, wurde die Reihenhausanlage von einer städtischen Gesellschaft unter Beteiligung der namhaften Architekten Ingeborg und Friedrich Spenglin, Werner Kallmorgen und Günther Marschall realisiert.
Bei den Reihenhäusern handelte es sich um sogenannte Duplexhäuser, die man in Billstedt auch noch im Spökelbarg findet. Dies war ein interessanter architektonischer Ansatz, der sowohl der akuten Wohnungsnot der Nachkriegszeit Rechnung trug als auch für die Zeit nach Entspannung auf dem Wohnungsmarkt attraktiven Wohnraum anbieten wollte. Die Häuser waren zwar grundsätzlich als Reihenhäuser konzipiert, ließen sich jedoch zunächst in zwei kleine, aber doch vollwertige Wohneinheiten unterteilen.
Rotklinker
Anfang der 1960er Jahre kehrte man in Hamburg im Bereich des Siedlungsbaus zunehmend zum traditionellen Baumaterial der Hansestadt, dem roten Backstein, zurück. An die Stelle spannungsvoller, an organische Formen angelehnte Kombinationen unterschiedlicher Gebäudetypen wie beispielsweise an der Möllner Landstraße, wo man Reihenhäuser neben vereinzelten Punkthäusern fand, traten nun einheitliche, meist viergeschossige Zeilenbauten in Ost-West-Ausrichtung. Ein gutes Beispiel für diese Phase des Wiederaufbaus auf Billstedter Gebiet stellen die Bauten an der Öjendorfer Höhe dar. Man findet sie aber auch an vielen anderen Stellen im Stadtteil.
Beton-Fertigteile
Neben der traditionellen Bauweise etablierte sich in den 1960er Jahren zunehmend ein ganz neues Verfahren: der Beton-Fertigteilbau. Immer mehr Siedlungsbauten wurden nun nicht mehr aus Ziegeln gemauert, sondern aus Wand- und Deckenteilen, die in Fabriken vorgefertigt wurden, zusammengefügt.
Erstmals wurde dieses rationalisierte Verfahren ab 1962 in der Siedlung Sonnenland (1.100 Wohnungen) angewandt. Ab 1964 folgte die sogenannte „Bullensiedlung“ an der Archenholzstraße mit etwa 1.500 Wohneinheiten. Weitere Beispiele finden sich nördlich der U-Bahn-Trasse zwischen den Haltestellen Legienstraße und Billstedt, in der Dringsheide, in Kaltenbergen, am Schiffbeker Berg und in Mümmelmannsberg. Neben der neuen Bauweise sind für diese Siedlungen deutlich größere, enger stehende Komplexe und massive Hochhäuser mit mehr als zehn Stockwerken charakteristisch. Teilweise wurden sie ohne Bebauungspläne hochgezogen, was vermutlich an der durch die Flut von 1962 dramatisch verschärften Wohnraumsituation lag. Dies hatte jedoch zur Folge, dass sich Wohnblocks plötzlich im Schatten großer Hochhäuser wiederfanden und soziale Folgeeinrichtungen wie Kindergärten und Schulen zunächst fehlten. Schließlich wurde die Situation in einigen dieser Siedlungen dadurch verschärft, dass bei der Wohnungsbelegung nicht auf eine gesunde Mischung geachtet wurde. Stattdessen verfolgte man vor allem das Ziel, die noch bestehenden Wohnlager und Behelfsunterkünfte möglichst schnell zu räumen. So entstand vielfach schon nach wenigen Jahren erhöhter Bedarf an sozialer Betreuung.