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Die Billbrooker Fabriken

Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs siedelten sich die Fabriken ausschließlich am heutigen Bilbrookdeich an. Folgte man diesem im Jahre 1914 vom Tiefstackkanal aus, stellt sich folgendes Bild dar:
Den Auftakt bildete die Fabrik chemischer Präparate Dr. Richard Sthamer, die noch heute besteht und auf die Herstellung von Feuerlöschmitteln spezialisiert ist. Der Betrieb war zu Beginn der 1870er Jahre eröffnet worden  und war damals die dritte Fabrik in Billwärder. 1897 zählte er etwa 40 Mitarbeiter. Bis zur Blauen Brücke schlossen sich die Holzhandlung Sohst, die chemische Fabrik Kleemann & Behncke und die Chemische Fabrik in Billwärder an. Diese war 1846 von dem in Hamburg ansässigen L.W.A. Jacobi gegründet worden und war sowohl die erste Fabrik in Billwärder als auch die erste chemische Fabrik Hamburgs. Anfangs hatte es sich lediglich um eine Kate gehandelt, in der aus Gasabfällen Salmiak hergestellt wurde. Doch schnell wurden die Anlagen und die Produktpalette erweitert. Nach mehreren Besitzerwechseln wurde das Unternehmen schließlich 1889 in eine AG umgewandelt. Zu dieser Zeit zählte sie bereits über 300 Beschäftigte. Die Jahresproduktion belief sich auf 10.000 t raffinierten Salpeter, 9.000 t Rohsalz, 3.500 t Borax, 1.000 t Borsäure, 1.500 t Schwefel, 200 t Kampher, 100 t flüssige Kohlensäure und kleinere Mengen resublimiertes Jod und pulverisiertes Glaubersalz.
Bis zum ehemaligen Zoll- und Akziseposten, der sich ungefähr auf Höhe der heutigen Moorfleeter Brücke befand, folgten die Mühlenbauanstalt von Körber & Naumann, die Fabrik ätherischer Öle von Franz Fritsche & Co., die Kokosbutterfabrik von Heermann & Co., die Anlagen der „Roststabhaus Silex in Hamburg GmbH“ und die Isoliermaterialfabrik Ruberoid. Das Unternehmen Franz Fritsche & Co. hatte sich beispielsweise 1902 angesiedelt und zählte im Jahr 1914 ungefähr 200 Arbeiter und Angestellte. Die Produkte entfielen teils auf den Parfümerie-, teils auf den Arzneimittelbereich.  Die Kokosbutter- und die Isoliermittelfabrik waren beide um die Wende zum 20. Jahrhundert von ausländischen Firmen gegründet worden und dann nach wenigen Jahren übernommen worden. In den folgenden Jahren bauten die neuen Eigentümer die Betriebe bedeutend aus. 1914 zählte das Unternehmen Ruberoid 200 Arbeiter und 120 kaufmännische Angestellte.
Bis zur Roten Brücke wurde die Reihe von folgenden Unternehmen fortgesetzt: der Wäscherei und Färberei J.H.C. Karstadt, der Degrasfabrik von Schuseil & Co., der Hydra-Oel & Co. m.b.H., einer Zinkhütte, dem Metallwalzwerk von George Dittmann & Co., der Fabrik ätherischer Öle von Anton Deppe & Söhne, der Öl- und Firnißfabrik Pietzcker & Co., den Ölwerken und der Export-Ceresin-Fabrik von Ernst Schliemann, der Korksteinfabrik von Dr. Nafzger, der Lack- und Firnißfabrik Reichhold, Flügger & Brecking, der Fasshandlung Maugels jr. und der Zigarrenfabrik von F. Wulff. Jenseits der Roten Brücke lagen schließlich noch die chemische Fabrik Morgenstern, Bigot & Co. und das Lager von Kolbe & Biehl.
Das bedeutendste Unternehmen hiervon war die Zinkhütte, die 1908 eröffnet worden war. Sie verfügte seit 1913 über 14 Zinkreduktionsöfen, brachte es damit auf 12.500 t Rohzink und Zinkstaub im Jahr und zählte 1914 ungefähr 360 Beschäftigte. Zunächst hatte das Werk seine Abgase ungefiltert in niedriger Höhe abgeleitet, was zu schweren Schäden in der umliegenden Natur und an der Gesundheit der Einwohnerschaft Schiffbeks führte. Die Vegetation am Geesthang starb weitgehend ab, die Bewohner klagten über Haarausfall und bis zur Arbeitunfähigkeit reichende Schwäche. Nach massiven Protesten wurde 1910 eine Entstaubungsanlage in Betrieb genommen, die die Situation deutlich verbesserte, dann jedoch durch die Beschlagnahmung der Motoren während des Ersten Weltkriegs stillgelegt werden musste, was erneut zu Bleivergiftungen bei der Belegschaft, den Anwohnern und in der Umwelt führte. Der Betriebsrat der „Jute“ wandte sich gar mit einem Schreiben an den Reichsminister des Innern, in dem er darum bat „uns mitzuteilen, bis wann Sie dieser Schweinerei ein Ende zu machen gedenken.“ Auch jetzt hatte man mit den Beschwerden Erfolg: Nachdem 1927 die Schließung des Werks angedroht worden war, fand sich die Leitung binnen Monatsfrist bereit, drei 80 Meter hohe Schornsteine zu errichten. Den gleichen Weg hatte das Metallwalzwerk bereits vor dem Ersten Weltkrieg gewählt: Seit 1912 verfügte es über einen 100 Meter hohen Zentralschornstein, über den es seine Abgase ableitete.
In den 1920er Jahren kamen auf den neu bereitgestellten Flächen zahlreiche neue Betriebe hinzu. Neben einer weiteren Jutefabrik der Firma Schlochauer sind vor allem die Unternehmen Colgate-Palmolive und Still zu nennen, die noch heute in Billbrook ansässig sind. Außerdem errichtete die Stadt Hamburg hier Ende der 1920er Jahre eine Müllverbrennungsanlage, eine Tierkörperverwertungsanlage, einen großen Schlachthof und bei dem während des Ersten Weltkriegs fertiggestellten Kraftwerks Tiefstack einen riesigen Gasometer.
Etliche Unternehmen mussten ihre Produktion infolge der Weltwirtschaftskrise massiv einschränken oder wurden gar ganz geschlossen. Hierzu zählte auch die Zinkhütte, die bereits im Oktober 1929 bis auf die Zinkweißabteilung stillgelegt wurde. 1938 richtete man in die leeren Hallen ein Gummirenaturierwerk ein, in dem man vor allem die Decken und Schläuche von Autoreifen sammeln und das Material für die erneute Verwendung in der Industrie aufarbeiten wollte. Bereits 1935 hatten sich zudem die Köln-Deutzer Motorenwerke in den ursprünglich für den Schlachthof errichteten Hallen angesiedelt. Beides ist sicherlich im Kontext der nationalsozialistischen Rüstungs- und damit verbundenen Autarkiebestrebungen zu sehen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Großteil der alten Industriebetriebe in Billbrook nach und nach geschlossen. Heutzutage ist das Gebiet vor allem geprägt von Firmen der Logistikbranche sowie von Unternehmen, die mit Ver- und Entsorgung ihr Geld verdienen. Teils nutzen sie die noch erhaltenen alten Fabrikgebäude, teils stehen diese aber auch leer.