Der Hamburger Aufstand, seine politischen Hintergründe und das Nachspiel
Seit dem Zusammenschluss mit dem linken Flügel der USPD im Dezember 1920, der ihr eine deutliche Verbreiterung der Basis brachte, wurde innerhalb der KPD, der Kommunistischen Partei Deutschlands, um den richtigen Weg zur Erlangung des politischen Ziels gerungen. Dieses bestand in der Weiterführung der 1918 steckengebliebenen Revolution zur Errichtung einer „Diktatur des Proletariats“ in Deutschland. Die einen wollten durch die Bildung einer Arbeiterregierung mit der SPD an die Schaltstellen der Macht gelangen, die anderen durch Streiks und Demonstrationen die Situation im Land destabilisieren, um dann auf gewaltsamem Weg den Umsturz zu versuchen. Diese Kontroverse beschränkte sich nicht auf die deutschen Kommunisten. Auch in Moskau, wo seit der Oktoberrevolution von 1917 die Kommunisten an der Macht waren und eine eigene Organisation für die Unterstützung der Gesinnungsgenossen in anderen Ländern (Komintern) bestand, stritten die potentiellen Nachfolger des totkranken Lenin um das weitere Vorgehen in Deutschland. Ein erfolgreicher Umsturz in Deutschland bot in jedem Fall die Möglichkeit, sich in diesem Machtkampf zu profilieren.
Nicht anders war die Situation in Hamburg. Auch hier gab es seit der Fusion eine Rivalität um die Führerschaft. Auf der einen Seite stand Hugo Urbahns, ein Müllersohn aus der Nähe von Heide, der eine Ausbildung zum Volksschullehrer gemacht hatte und zu den ersten Mitgliedern der KPD in Hamburg zählte. Er war ein eher nüchterner Mensch, verfügte über eine umfangreiche politische Bildung und bekleidete das Amt des politischen Leiters des KPD-Bezirks Wasserkante. Ihm gegenüber stand Ernst Thälmann. Dieser stammte aus einer Arbeiterfamilie, verdingte sich nach der Schule als Gelegenheitsarbeiter und kam über die SPD und den Transportarbeiterverband zur USPD, wo er schnell zu den führenden Leuten gehörte und 1919 ein Mandat für die Hamburger Bürgerschaft erlangen konnte. Im Gegensatz zu Urbahns war Thälmann eher ein polternder Agitator, dem es schnell gelang, die Leute durch seine kumpelhafte Art für sich zu gewinnen. Seit 1919 war er Vorsitzender der USPD-Ortsgruppe in Hamburg, ab dem Zusammenschluss hatte er dieses Amt dann bei der Hamburger KPD inne.
Nachdem zunächst Urbahns in Moskau die größere Gunst genossen hatte, gelang es Thälmann zusehends, sich dort zu profilieren. Insbesondere die Nähe zum jungen Stalin, dem späteren Nachfolger Lenins, und die Frontstellung gegen den eher zauderhaften KPD-Vorsitzenden Heinrich Brandler kam ihm dabei zu Gute. Im März 1921, als die KPD in Hamburg sowie im Raum Halle/Merseburg, von wo Brandler stammte und wo die Partei gleichfalls viele Anhänger hatte, versuchte, über einen Generalstreik Unruhe zu schaffen, es mehrere Tage lang blutige Auseinandersetzungen mit über einhundert Toten gab und man sich letztlich doch den Sicherheitskräften geschlagen geben musste, hatte man noch gemeinsam an einem Strang gezogen. Thälmann hatte an der Spitze der Hamburger Unruhen gestanden, und auch in der Folgezeit gerierte er sich als Mann der Tat. Sein Hamburger Rivale Urbahns mochte da nicht zurückstehen. Es blieb nur die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für den nächsten Anlauf zum Umsturz.
Den Hintergrund für die Umsturzbestrebungen der KPD bildete die instabile politische und wirtschaftliche Situation in Deutschland nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Zwar gab es erstmals eine parlamentarische Demokratie, doch das Land litt unter den im Versailler Vertrag festgelegten Reparationszahlungen, der Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich und der immer schneller voranschreitende Inflation, dem Wertverlust des Geldes, der ein langfristiges Planen und Handeln zunehmend unmöglich machte und die durch Arbeitslosigkeit und Versorgungsengpässe bereits bestehende Not für viele Menschen noch vergrößerte.
Den nächsten Anlauf zum Umsturz unternahm die KPD im August 1923, nachdem es zur bedingungslosen Kapitulation Deutschlands im Ruhrkampf gekommen war und sich die Regierung Cuno aufgelöst hatte. Die Hoffnung der Partei richtete sich nun auf eine gemeinsame Arbeiterregierung zusammen mit der SPD, die von den Gewerkschaften mitgetragen wird. Durch einen Generalstreik wollte man die Massen mobilisieren und die Wirtschaft lahmlegen, um den Druck zu erhöhen. Doch der Generalstreik konnte nicht flächendeckend durchgesetzt werden und musste nach wenigen Tagen abgebrochen werden. Statt einer Arbeiterregierung kam es zu einer großen Koalition von SPD, DDP, Zentrum und DVP unter der Führung von Gustav Stresemann.
Doch auch hiervon ließ man sich nicht entmutigen. Wenn nicht auf dem Weg über das Parlament, dann wollte man den Umsturz halt gewaltsam herbeiführen. Dieser Beschluss wurde wohl am 21. August 1923 vom Politbüro der Kommunistischen Partei Russlands gefasst. Man lud Brandler und Thälmann nach Moskau. Ab dem 21. September saß man mehrere Wochen lang für viele Stunden zusammen und plante die Revolution in Deutschland. Als Termin legte man sich auf den 9. November, den fünften Jahrestag der Revolution von 1918, fest.
Die KPD in Deutschland war nicht unvorbereitet. Seit längerem verfügte sie mit den sogenannten „proletarischen Hundertschaften“ über eine eigene militärische Organisation. Es wurden heimlich Wehr- und Schussübungen veranstaltet und strategische Überlegungen für die Durchführung des Umsturzes angestellt.
Nachdem Anfang Oktober in Sachsen und Thüringen die Bildung einer Arbeiterregierung mit der SPD geglückt war und sich die Situation im Land infolge der galoppierenden Inflation von Tag zu Tag verschärfte, verlegte man den Tag für den Umsturz vor. Nunmehr sollte es schon am 23. Oktober losgehen. In Hamburg und Kiel im Norden sowie in Sachsen und Thüringen im Süden, wo man auf besonders viel Unterstützung hoffte, wollte man losschlagen, um dann die Revolution ins ganze Land zu tragen. Den Anstoß sollte eine für den 21. Oktober einberufene Konferenz in Chemitz geben, in Hamburg wurde der Aufstand von einem Lokal am Grünen Deich in Hammerbrook aus koordiniert, wo am Abend des 22. Oktobers ebenfalls eine große Veranstaltung stattfand. Über Boten wurden Gruppen, die sich in den anderen Stadtteilen versammelt hatten informiert. Entgegen der Legenden, sie wären in Chemitz gewesen, waren es Thälmann und Urbahns, die hier die Fäden zogen.
Der Plan bestand darin, in den Arbeiterquartieren am Rande der Stadt, in Eimsbüttel, Winterhude, Barmbek, Hammerbrook, Hamm, Horn und im preußischen Schiffbek in den frühen Morgenstunden die Polizeiwachen zu stürmen, um sich so in den Besitz weiterer Waffen zu bringen. Der Anführer der Barmbeker Kommunisten, Hans Kippenberg, wollte sogar die Kaserne in Wandsbek überfallen, um die vier dort stationierten Panzerwagen unter seine Kontrolle zu bringen. Doch da die Geesthachter Kommunisten das hierfür angeforderte Maschinengewehr, das sie bei den Unruhen vom März 1921 erbeutet hatten, nicht zur Verfügung stellen wollten, sah man davon ab. Nachdem man die Kontrolle über die Außenbezirke erlangt hatte, wollte man nach und nach in die Innenstadt vorrücken. Dort sollte zudem durch Demonstrationen und Plünderungen Aufruhr verursacht werden, der die Sicherheitskräfte bindet. Im Nordosten Hamburgs wollte man die Bahnverbindung nach Lübeck sowie die Telefon- und Telegraphenleitungen unterbrechen und die Chaussee abriegeln. Die eigene Versorgung von außen sollte über Geesthacht und Bergedorf organisiert werden.
Als sich die einzelnen Gruppen dann an den vereinbarten Sammelpunkten trafen, waren ihre Mitglieder zum Teil noch gar nicht darüber im Bilde, was in den nächsten Stunden geschehen sollte. Teils hatte man sie auch mutwillig falsch informiert, um sie am Abspringen zu hindern. Teils drohte man ihnen für diesen Fall drakonische Strafen an. Punkt fünf Uhr begann der Sturm auf die Polizeiwachen. Dabei ging man massiv und mitunter mit großer Brutalität vor. Mehrere Polizisten fanden den Tod. Zum Teil konnten die Wachen jedoch auch von den Sicherheitskräften gehalten oder später mit geringem Aufwand zurückerobert werden.
Zu den Hauptschauplätzen der Auseinandersetzung zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen entwickelten sich Eimsbüttel, Barmbek und Schiffbek. In Eimsbüttel hatten die Aufständischen die Wache 42 in der Müggenkampstraße sowie den nördlichen Bereich des Stadtteils unter ihre Kontrolle gebracht. Diesem Gebiet wandten sich Sicherheitskräfte als erstes zu. Nachdem zwei Vorstöße mit einer Radfahrertruppe sowie einem Panzerwagen gescheitert waren, unternahm man ab 10 Uhr einen dritten Anlauf. Unter dem Schutz eines weiteren Panzerwagens gelang es, bis zur Wache 42 vorzudringen und diese gegen 12 Uhr zurückzuerobern. In Barmbek hatten sich die Aufständischen in einem etwa 12 Hektar großen Gebiet zwischen Pfennigsbusch im Osten, Holsteinischem Kamp im Süden sowie Hamburger Straße und dem Barmbeker Markt im Westen verschanzt. Rund 60 Barrikaden erschwerten das Vorrücken der Polizei. Trotz des Einsatzes von etwa 200 Polizisten sowie mehreren Panzerwagen gelang es bis zum Abend nicht, die Aufständischen zu bezwingen. Als diese jedoch in der Nacht die Nachricht erreichte, dass der Aufstand auf der Konferenz in Chemitz kurzfristig abgesagt worden war und sie in Hamburg auf verlorenem Posten stehen, beschloss ihr Anführer Kippenberg, das Gebiet kampflos aufzugeben und sich heimlich zurückzuziehen. Der Vorstoß der Polizei am nächsten Morgen ging ins Leere. Nach nur einer Stunde hatte sie Barmbek wieder unter Kontrolle; es gab keine Gefangenen. Schiffbek befand sich vollständig in der Hand der Aufständischen. Auch hier waren Barrikaden errichtet und die Dächer von Heckenschützen besetzt worden, auch hier musste ein erster Vorstoß der Sicherheitskräfte am 23.10. abgebrochen werden. Dem massiveren Vorgehen der Sicherheitskräfte am folgenden Tag, das neben zwei Panzerwagen auch von einem Flugzeug unterstützt wurde, hatten die Kommunisten dann nicht mehr viel entgegenzusetzen. Sie flohen in Richtung Bergedorf, wo es noch mehrfach zu kleineren Auseinandersetzungen kam. Auch am folgenden Tag gab es an verschiedenen Orten im Hamburger Umland, etwa in Bargteheide, der Wandsbeker Gartenstadt, in Harburg und in Pinneberg noch Unruhe, doch dann hatten die Ordnungskräfte die Lage endgültig wieder unter Kontrolle.
17 Polizisten ließen bei den Kämpfen ihr Leben, unter den Aufständischen sowie in der Bevölkerung gab es wohl mehrere dutzend Todesopfer. Mehr als tausend Menschen wurden verhaftet, darunter auch der Großteil der kommunischen Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft. In Hamburg richtete man ein Schnellgericht ein, das sogar Todesurteile verhängte (die allerdings nicht vollstreckt wurden). Die Aufständischen aus den preußischen Gebieten wurden 1925 in Altona vor Gericht gestellt. Die Anführer des Hamburger Aufstands, Ernst Thälmann und Hugo Urbahns, tauchten zunächst unter, zeigten sich aber gelegentlich unangekündigt auf Veranstaltungen, obwohl sie mit Haftbefehl gesucht wurden. Einer dieser öffentlichen Auftritte wurde Urbahns schließlich zum Verhängnis: Am 13. Januar 1924 verhaftete ihn die Ploizei am Rande einer Gedenkveranstaltung für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Da mittlerweile das außerordertliche Gericht aufgelöst worden war, drohte ihm allerdings keine drakonische Strafe mehr. Thälmann stilisierte sich nach dem gescheiterten Aufstand als Mann der Tat, wobei er zugleich die Zögerlichkeit von Brandler und auch Urbahns brandmarkte. In Moskau stieß das auf großes Wohlwollen, in Berlin wurde er im März 1924 mit dem Vorsitz der KPD belohnt: Zusammen mit Herrmann Remmele trat er an die Stelle von Heinrich Brandler und August Thalheimer. Im Mai 1924 wurde Thälmann als Spitzenkanditat der KPD in den Berliner Reichstag gewählt. Nach Hamburg wagte er sich offiziell jedoch erst wieder, nachdem ein Berliner Gericht den Antrag Hamburgs auf Aufhebung seiner Immunität als Abgeordneter abgelehnt hatte. Bei Urbahns, der ebenfalls ein Mandat erhalten hatte, sprach sich der Reichstag unterdessen gegen eine Aufhebung des Haftbefehls aus; auch seine Parteifreunde machten sich nicht für ihn stark. So wurde ihm ab dem 22. Januar 1925 vor dem Hamburger Landgericht zusammen mit sieben weiteren Parteigenossen der Prozess gemacht. Urbahns übernahm die volle politische Verantwortung für den Aufstand, behauptete, nicht selbst den Anstoß zum Losschlagen gegeben zu haben, da er in Chemnitz gewesen sei, deckte seine Mitstreiter und brandmarkte das Gericht als Gesinnungsjustiz, schlüpfte also ganz in die Märtyrerrolle. Die Staatsanwaltschaft forderte mit 15 Jahren Festungshaft die Höchststrafe für vollendeten Hochverrat, das Gericht entschied auf 10 Jahre. Die übrigen Angeklagten wurden bei zwei Freisprüchen aus Mangel an Beweisen zu zweieinhalb bis sechs Jahren Festungshaft verurteilt. Doch bereits im Oktober 1925 kam Urbahns wieder frei. Nunmehr erkannte man doch seine Immunität als Berliner Reichstagsabgeordneter an. Bei der KPD war aber nicht mehr willkommen. Sie schloss ihn im November 1926 aus. Unterdessen gingen die Gerichtsverfahren gegen Beteiligte am Hamburger Aufstand noch bis in den Dezember 1926 weiter. Nur eine Woche, nachdem das letzte Urteil verkündet worden war, erging dann für fast alle Verurteilten eine Amnestie. Das noch anhängige Verfahren gegen Thälmann wegen Hochverrats wurde schließlich im August 1928 im Rahmen einer weiteren allgemeinen Amnestie eingestellt. Die junge Republik hoffte so auf eine Versöhnung mit ihren Gegnern. Doch diese blieben auf Konfrontationskurs.