Sozialer Wohnungsbau der 1920er und 1930er Jahre
Bis zum Ende des Kaiserreichs gab es in Deutschland keinen großen Mangel an Wohnungen. Der Wohnungsmarkt befand sich weitestgehend in privater Hand. Daneben waren auch einige Genossenschaften aktiv. Zwar waren die angebotenen Wohnungen - gerade im städtischen Bereich - häufig sehr klein, eng, dunkel und schlecht belüftet. Doch die Zahl der Wohnungssuchenden hielt sich in Grenzen. Mitunter gab es sogar Phasen mit umfangreichen Leerständen.
Mit Beginn der Weimarer Republik änderte sich dies auf dramatische Weise. Dies hatte mehrere Gründe. Zum einen hatte der Wohnungsbau während des Ersten Weltkrieges weitgehend geruht. Und auch nach Kriegsende kam er nur schwer wieder in Gang. Eine besondere Rolle spielte hierbei die Kohlenknappheit, die dazu führte, dass viele Ziegeleien nicht arbeiten konnten. Zum anderen hatten viele Kriegsteilnehmer während des Krieges oder aber nach Kriegsende geheiratet, was eine verstärkte Nachfrage nach Wohnungen nach sich zog. Und schließlich kamen die geburtenstarken Jahrgänge aus der Zeit nach der Jahrhundertwende nun bald ins heiratsfähige Alter.
Gut lässt sich diese Entwicklung auch am Beispiel Schiffbeks nachvollziehen. Während es hier im Jahre 1907 bei etwa 8700 Einwohnern lediglich 1935 Haushaltungen gab, waren es 1927 bei rund 8600 Einwohnern 2342, also über 20% mehr. Die durchschnittliche Haushaltsgröße ging in dieser Zeit von 4,5 auf 3,6 Personen zurück.
Der Schiffbeker Wohnungmarkt war nicht ansatzweise in der Lage, die Nachfrage zu befriedigen. Bis 1925 stieg die Zahl der Wohnungssuchenden auf 295, 1927 waren es bereits 347 und ein Jahr später 400. Für Billstedt wurden 1929 dann 500 und Anfang 1930 gar 550 Wohnungssuchende ermittelt. In einzelnen Fällen kam es vor, dass 11 Personen in einer Wohnung oder gar 7 Personen in einem Zimmer lebten. Hinzu kam, dass die Substanz der Häuser infolge der Beschlagnahmungen während des Krieges sowie durch die Material- und Kohlenknappheit erheblich gelitten hatte. Häufig waren sie baufällig und feucht, mitunter sprach man von Wohnhöhlen, die nicht mehr als menschenwürdig angesprochen werden konnten. Gerade unter Kindern war die Tuberkulose weit verbreitet.
Trotz ihrer beschränkten Möglichkeiten versuchte die Gemeinde, so gut es ging gegenzusteuern. Man richtete eine Wohnungsvermittlung ein und erwarb eine Villa am Schleemer Bach, um dort Wohnungslose unterzubringen. Durch die Aufnahme von Anleihen und Zuschüsse des Kreises setzte sie am Geesthang einige verfallene Wohnungen instand und errichtete an den heutigen Straßen Schleemkoppel und Kaspar-Siemers-Weg sowie an der Möllnerlandstraße mehrere kleine Wohnhäuser. Es wurden der Schleemer Weg und die Hollestraße angelegt und so neues Bauland erschlossen. Und schließlich unterstützte man private Bauherren durch die Überlassung von Erbpachtgrundstücken und günstige Hauszinssteuer-Hypotheken. Insgesamt konnten bis 1927 so 223 Neubauten fertiggestellt werden.
Eine nachhaltige Verbesserung der Lage versprach dann ein Projekt, das im Dezember 1927 vorgestellt wurde. Die gemeinnützige Baugesellschaft Selbsthilfe plante, auf einem 30.000 qm großen Grundstück zwischen Schleemer Bach und Billstedter Mühlenweg einen Komplex mit insgesamt 270 Wohnungen zu errichten. Während die Wohnungen über zwei Zimmer und eine Fläche von 50 qm verfügten, sahen die Planungen auch ein Gemeinschaftshaus mit modernen Waschküchen, Badeeinrichtungen und einem Kinderhort vor. Die Innenhöfe sollten mit gärtnerischen Anlagen, Kinderspielplätzen und Rasenflächen freundlich hergerichtet werden. Außerdem wollte man den nahen Schleemer Bach einbeziehen und dort ein Planschbecken anlegen.
Der von den Architekten Berg und Paasche gemeinsam mit der Bauhütte Nord erarbeitete Entwurf sah eine weitgehend geschlossene Blockrandbebauung vor, in deren Hof einige weitere Gebäude gestellt werden sollten. Er war ganz dem vom Bauhaus begründeten sogenannten „Neuen Bauen“ der 1920er Jahre verpflichtet: Die bis zu viergeschossigen Baukörper verfügten sämtlich über Flachdächer. Die Fassaden waren schlicht, fast schnörkellos und in Backstein gehalten und wurden allein durch einheitliche Fensterbänder gegliedert. Lediglich an den Eingangsbereichen und an den Blockecken am Mühlenweg wollte man gestalterische Akzente setzen.
Im Frühjahr 1929 wurde der erste Bauabschnitt mit 46 Wohnungen an der Kapellenstraße fertiggestellt, 1931 folgte der zweite mit 60 Wohnungen am Billstedter Mühlenweg. Infolge der Weltwirtschaftskrise war dann jedoch Schluss. Nachdem der Bauträger noch im Frühjahr 1930 durch die Erhöhung der Mieten versucht hatte, seine Kosten zu decken, musste er den Komplex nun an seinen Hauptgläubiger abgeben. Ein Großteil der Wohnungen stand zu dieser Zeit leer, da es infolge der durch die Wirtschaftskrise ausgelösten Massenarbeitslosigkeit den meisten Wohnungssuchenden nicht möglich war, die Mieten zu zahlen.
Gleichwohl der Entwurf nur teilweise umgesetzt wurde, spricht der Kunsthistoriker Hermann Hipp von einem der besten Beispiele für das Neue Bauen in Hamburg. Weiterer sozialer Wohnungsbau aus der Zeit der Weimarer Republik findet sich im Billstedter Mühlenweg 15-19. Diese Häuser, die ebenfalls im Stil des Neuen Bauens, jedoch mit Putzfassade, errichtet wurden, wurden in den Jahren 1930-32 von der Baugesellschaft der Heimsparer realisiert. Wie bei dem Block der Selbsthilfe wurde auch hier auf einem in Erbpacht von der Gemeinde überlassenen Grundstück gebaut. Die insgesamt 30 Zweizimmer-Wohnungen waren in der Ausstattung einfach gehalten, verfügten jeweils über 42 qm und wurden dem Wohnungsamt zur Belegung überlassen.
Ende der 1930er wurde die von der Selbsthilfe errichtete Anlage vervollständigt. Da das Neue Bauen jedoch nicht im Einklang stand mit den ästhetischen Vorstellungen der Nationalsozialisten, wich man massiv vom ursprünglichen Entwurf ab. An der Klinkstraße sowie im Straßenzug An der Schleemer Mühle entstanden nun mehrere Backsteinblocks mit Sattel- bzw. Walmdächern und zum Teil volkstümlichen Ornamenten im Eingangsbereich. An die Stelle der spannungsvollen Modernität im Entwurf von Berg und Paasche trat nun eine eher langweilige, ganz traditionelle Bebauung. Weitere Beispiele für sozialen Wohnungbau aus der NS-Zeit findet man in Billstedt beispielsweise an der Weddestraße und am Hermannstal im Bereich der Riedsiedlung.