Billstedt in der NS-Zeit
Schiffbek hatte sich seit der Industrialisierung zur einer Hochburg der Arbeiterbewegung entwickelt, und auch Billstedt, zu dem es 1927 mit den Nachbargemeinden Kirchsteinbek und Öjendorf zusammengefasst worden war, war ein „roter“ Stadtteil. Bis in die Endzeit der Weimarer Republik hinein kamen die beiden Arbeiterparteien SPD und KPD hier bei den Wahlen zusammen auf mehr als 60% der abgegebenen Stimmen.
Die NSDAP, die mit ihrer Machtergreifung im Jahr 1933 der ersten deutschen Demokratie ein Ende bereitete, hatte es dagegen schwer, hier Boden zu fassen. Mehrfach kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen mit den politischen Gegnern, einmal wurde sogar auf einen Billstedter Nationalsozialisten geschossen. Erstmals einen nennenswerten Stimmanteil hatte die NSDAP in Billstedt bei den Reichstagswahlen im September 1930 mit 9,7% erzielt. Trotz massiver Propaganda und gleichzeitiger Unterdrückung von SPD und KPD kam sie bei den Reichstagswahlen im März 1933 in Billstedt nicht über 27,1% hinaus. Und auch bei der eine Woche später durchgeführten Wahl zum Gemeinderat war das Ergebnis nur unbedeutend besser.
Gleichwohl folgte nun auch in Billstedt die Gleichschaltung, zunächst auf politischer Ebene. Da dies aufgrund des örtlichen Wahlergebnisses nicht so ganz einfach zu rechtfertigen war und man dieses auch nicht ganz ignorieren mochte, griffen die Nationalsozialisten zu einigen zweifelhaften Maßnahmen, um die Mehrheitsverhältnisse zu ihren Gunsten zu verschieben. Zunächst wurde per Runderlass des Innenministers verfügt, dass die Kommunisten aufgrund des Verdachts auf Hochverrat von den Gemeindevertretungen auszuschließen sind. Weshalb dann gleich mehrere Sozialdemokraten ihre Mandate niederlegten und die eine Vertreterin erst so kurzfristig namhaft gemacht werden konnte, dass sie nicht zur konstituierenden Sitzung der Gemeindeversammlung erschien, lässt sich nur spekulieren. Doch auch so bedurfte es bei der Wahl des Gemeindevorstands noch einer - vermeintlich - ungültigen Stimme, damit sich die NSDAP gemeinsam mit der rechts-konservativen Kampffront Schwarz-Weiß-Rot durchsetzen konnte. Entgegen der bisher üblichen Gepflogenheiten besetzten sie dann auch alle weiteren Posten mit Leuten aus ihren Reihen. Auf die Proteste der Sozialdemokraten reagierte man nur mit Häme und Gelächter.
Zuvor waren bereits zahlreiche Sozialdemokraten aus der Gemeindeverwaltung entfernt worden. Den langjährigen Gemeindevorsteher Heinrich Klink überzog man zudem mit zwei Disziplinarverfahren mit Ziel der Aberkennung seiner Pensionsansprüche, die allerdings beide abschlägig beschieden wurden.
Außerdem wandte sich die NSDAP der Gleichschaltung des gesellschaftlichen Lebens zu. Vereine und andere Organisationen wurden, wenn man sie nicht gleich auflöste, entweder mit neuen, linientreuen Vorständen versehen oder aber in nationalsozialistische Einrichtungen eingegliedert. Die Kirchen mussten die Hakenkreuz-Fahne hissen, von Kindern und Jugendlichen wurde die Mitgliedschaft in den Jugendorganisationen HJ und BDM erwartet, und Nachbarschaften standen bald unter der Aufsicht von Blockwarten. Traditionelle festliche Anlässe wie der 1. Mai oder das Erntedankfest wurden von den Nationalsozialisten okkupiert, neue Feiertage wie der Geburtstag Adolf Hitlers kamen hinzu.
Wer nicht ins nationalsozialistische Weltbild passte, wurde diskriminiert, schikaniert und mitunter erbarmungslos verfolgt. Bereits im April 1933 wurde mit an den Schaufenstern befestigten Transparenten zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen. Immer wieder kam es zu willkürlichen Verhaftungen. Die Sozialdemokratin Katharina Corleis kam unter ungeklärten Umständen in ihrer Zelle im KZ Fuhlsbüttel durch Erhängen zum Tode. Fiete Schulze, der Anführer der Schiffbeker Kommunisten im Hamburger Aufstand, wurde nach schweren Misshandlungen im Gefängnis in einem Aufsehen erregenden Schauprozess zum Tode verurteilt und mit dem Beil enthauptet. Mehrere jüdische Familien wurden während des Zweiten Weltkriegs deportiert und ermordet. Zahlreiche Stolpersteine erinnern mittlerweile in Billstedt an diese Opfer des nationalsozialistischen Terrors.
Die Luftangriffe, die die Allierten im Zweiten Weltkrieg auf Hamburg flogen und durch die in der Hansestadt ganze Stadtteile in Schutt und Asche gelegt wurden, verursachten auch in Billstedt große Schäden. Zahlreiche Gebäude wurden schwer beschädigt oder vollständig zerstört, unter anderem waren die alte Kreuzkirche am Kreuzkirchenstieg und die Hallen der Jute betroffen. 348 Billstedter fanden im Bombenkrieg den Tod.
Zugleich führte der Krieg zu einem massiven Anstieg der Einwohnerzahl von Billstedt. Sie wuchs von 13.700 im Jahr 1937 auf 23.000 im Jahr 1950. Unter den Zugezogenen waren viele Ausgebombte, die sich ihre Gartenlauben zu Dauerwohnungen ausgebaut hatten. Gerade entlang des Schiffbeker Weges war dies weit verbreitet. Viele waren aber auch im Rahmen der Wohnraumbewirtschaftung bei anderen Familien einquartiert worden. Bis zur vollständigen Lösung der durch den Zweiten Weltkrieg verursachten Wohnungsnot dauerte es bis in die 1970er Jahren. Großsiedlungen, wie man sie in Billstedt vielfach findet, spielten dabei eine bedeutende Rolle.
In die Zeit des Nationalsozialismus fallen aber auch einige bedeutsame positive Entwicklungen. An erster Stelle ist das Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 zu nennen. Hierdurch kam Billstedt ebenso wie beispielsweise Wandsbek, Altona, Wilhelmsburg und Harburg zur Hansestadt. Die wirtschaftliche und soziale Einheit, die sich seit der Industrialisierung entwickelt hatte, wurde nun auch eine politische.
Dann erhielt Billstedt in den 1930er Jahren endlich eine Kanalisation und ein Klärwerk. Beides wurde, wie vieles anderes auch, im Rahmen von Notstandsarbeiten bewerkstelligt. Zur Linderung der seit dem Ersten Weltkrieg herrschenden Wohnungsnot wurden einige hundert Wohnungen, insbesondere zwischen Washingtonallee und Horner Landstraße, im Bereich Klinkstraße/An der Schleemer Mühle, auf dem Gelände des ehemaligen Guts Steinfurth und in der Riedsiedlung geschaffen. Vielfach handelte es sich hierbei um Projekte, die schon vor der NS-Zeit geplant worden waren, aber am fehlenden Geld gescheitert waren.
Schließlich brachte die NS-Zeit aber auch einen massiven wirtschaftlichen Wiederaufschwung. Nachdem während der Weltwirtschaftskrise zahlreiche Betriebe einen Großteil der Belegschaft entlassen hatten oder gar komplett stillgelegt worden waren, stiegen die Beschäftigtenzahlen nun wieder. Während im November 1931 mehr als 2000 Billstedter arbeitslos gemeldet gewesen waren und sich diese Zahl bis Anfang 1933 angeblich gar auf über 3000 gesteigert hatte, sank die Zahl der vom Winterhilfswerk 1935/36 betreuten Familien auf 1500. Erhielten einschließlich der Angehörigen zu Beginn des Jahres 1933 mehr als 8000 Menschen und damit 2/3 der Einwohnerschaft von Billstedt Unterstützung, war es jetzt mit 3800 Personen nur noch ein Viertel. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass das Winterhilfswerk auch Familien betreute, die erwerbstätig waren. Andererseits sollte man die von den Nationalsozialisten für Anfang 1933 genannten Zahlen mit einer gewissen Vorsicht behandeln.
Bei einem Teil der neuen Beschäftigungsverhältnisse handelte es sich um staatlich finanzierte Notstandsarbeiten. Zum Teil ging mit der wirtschaftlichen Erholung eine stärkere Umweltbelastung einher. Und schließlich dienten zahlreiche neu angesiedelte Betriebe bereits der Aufrüstung und damit der Vorbereitung auf den Krieg.
Während des Krieges wurden dann aus den besetzten Gebieten zahlreiche junge Menschen nach Billstedt verschleppt. Mit ihnen füllte man die Belegschaften der Betriebe auf und setzte sie in der Landwirtschaft, bei Baumassnahmen oder bei der Trümmerbeseitigung ein. Die Zwangsarbeiter erhielten lediglich ein kleines Taschengeld und wurden häufig schlecht versorgt und mitunter sogar misshandelt.