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Von der Einkaufsstraße zum Billstedt Center: Die Entwicklung des Billstedter Zentrums

Mit Schiffbeks Wandlung zum Arbeiterquartier entwickelte sich die heutige Billstedter Hauptstraße zu einer lebhaften Einkaufsstraße. In nahezu jedem Erdgeschoss befanden sich Ladengeschäfte. Häufig waren die dort ansässigen Einzelhändler zugleich Eigentümer des ganzen Gebäudes. Ein gutes Beispiel hierfür ist der noch heute erhaltene Block an der Ecke Billstedter Hauptstraße/Schiffbeker Weg. Er wurde 1903 von dem Fettwaren- und Delikatessenhändler August Knabe errichtet, der zuvor bereits seit längerer Zeit an anderer Stelle das Schiffbeker Kaufhaus betrieben hatte und dieses nun in das Eckgeschäft des neuen Komplexes verlegte. In den oberen Stockwerken des viergeschossigen Gebäudes, das sich weit den Schiffbeker Weg hochzieht, befanden sich zahlreiche kleine Arbeiterwohnungen. Begünstigt durch den wirtschaftlichen Aufschwung war es August Knabe möglich gewesen, sein Geschäft aus kleinen Anfängen beträchtlich weiterzuentwickeln, das hierdurch erworbene Vermögen in den Bau von Mietwohnungen zu investieren und sich so eine weitere lukrative Einnahmequelle zu verschaffen.
Ganz ähnlich verhielt es sich mit dem ebenso mächtigen Komplex, der 1905 von Arthur Brinkmann an der Ecke Billstedter Hauptstraße/Frobeniusweg errichtet wurde. Er steht gleichfalls noch heute, verfügt über eine 70 m breite Front und umfasst 32 Wohnungen. Brinkmann, der aus einer Brinkkätnerfamilie stammte, betrieb seit 1900 am Ort ein Haushaltswarengeschäft sowie eine Klempner- und Mechanikerwerkstatt.
Weitere markante Ladengeschäfte waren die 1894 eröffnete Billstedter Apotheke, die 1898 an der Ecke Billstedter Hauptstraße/Geesthang errichtete Metallwarenhandlung Altmann, die Schlachterei Kupfer sowie die Papierwarenhandlungen Jahncke und Hintze an der Abzweigung der Möllner Landstraße und das gegenüber dem Knabe’schen Block auf der Südseite der Billstedter Hauptstraße gelegene Textilhaus Magnus. Ferner gab es ein Postamt, ein Bankgebäude, ein Fischgeschäft, einige weitere Schlachtereien und Bekleidungsgeschäfte, mehrere Bäckereien, Milchgeschäfte, Kolonialwarenhandlungen, Schuhgeschäfte, Schneidereien, Tabakwarenhändler und ein Blumengeschäft.
Ergänzt wurde dieses vielfältige Einzelhandelsangebot durch zahlreiche Lokale. Das größte war die Gastwirtschaft von Vocke beim Alten Zoll, die seit 1906 über einen Saal für bis zu 1000 Besucher verfügte. An der Gabelung von Billstedter Hauptstraße und Möllner Landstraße lag das Chausseehaus, gegenüber dem Brinkmann’schen Block am Frobeniusweg das Lokal von Kämper. Im Jahre 1908 zählte Schiffbek insgesamt 13 Gastwirtschaften.
1914 erhielt Schiffbek Anschluss an die Hamburger Straßenbahn: Vom Letzten Heller in Horn verlängerte man die Gleise bis zum Chausseehaus, das einmal von ihnen umrundet wurde. In den 1920er Jahren kamen dann einige Buslinien hinzu, die das Umland anbanden. Außerdem fand seit dieser Zeit auf dem bei der Einmündung des Schiffbeker Wegs gelegenen Marktplatz ein regulärer Wochenmarkt statt, der den bis dahin vorherrschenden Straßenhandel ablöste. Die um die Wende zum 20. Jahrhundert entlang der heutigen Billstedter Hauptstraße vorgenommenen Ulmenpflanzungen hatten sich in der Zwischenzeit zu einer prächtigen Allee entwickelt.
Mit der Zeit wurde der zunehmende Automobilverkehr jedoch zu einer Belastung. Waren 1904 noch an einem ganzen Tag auf der heutigen Billstedter Hauptstraße 300 und auf der Möllner Landstraße 150 Fahrzeuge gezählt worden, wobei es sich größtenteils um Pferdefuhrwerke gehandelt haben dürfte, ermittelte man 1937 an einem Tag im Juli alleine zwischen 18 und 21 Uhr nicht weniger als 1380 PKW, 124 LKW und 567 Motorräder. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte man die Straße bereits mehrfach verbreitert und den Wochenmarkt an den Öjendorfer Weg verlegt. Nun sollten für eine erneute Verbreitung auf 30 m mehrere Häuser abgebrochen und die Straßenbahnkehre an die Einmündung des Schiffbeker Wegs verlagert werden. Den stadtauswärts fließenden Verkehr führte man in der Folge südlich um das Textilhaus Magnus herum, so dass sich dieses jetzt ebenso wie die neuen eingeschossigen Pavillons der Straßenbahn-Endhaltestelle mitten im Verkehrsstrom wiederfand.
Weitere Beschädigungen erfuhr das Straßenbild durch ein umfangreiches Absterben der Alleebäume in den 1940er Jahren und etliche Bombentreffer während des Zweiten Weltkriegs. Nach Kriegsende wurden die meisten Lücken schnell durch Behelfsbauten geschlossen. Außerdem entstand in dieser Zeit an der Südseite der neuen Straßenbahnkehre eine Zeile schlichter eingeschossiger Bauten mit neuen Einzelhandelsangeboten. Einmal war sogar von einer „Mönckebergstraße des Hamburger Ostens“ die Rede.
Doch das weiter anwachsende Verkehrsaufkommen drängte auf eine grundlegende Neuordnung: Anfang der 1960er Jahre waren an einem Tag bereits 40.000 Fahrzeuge ermittelt worden, bis 1967 stieg diese Zahl auf 47.000. Nachdem man in den 1950er Jahren gar eine Untertunnelung des Billstedter Zentrums in die Diskussion gebracht hatte, wandte man sich jetzt der Schaffung eines neuen Einzelhandelschwerpunkts für Billstedt zu. Getrieben wurde diese Entwicklung von der Anbindung Billstedts an das Hamburger Schnellbahnnetz.
Hatte Billstedt in den 1950er Jahren noch hinter Wandsbek und Farmsen zurückstehen müssen, wurde ab 1964 der von den Bewohnern mit Vehemenz geforderte Bau einer neuen Linie vom Berliner Tor bis zur Merkenstraße in Angriff genommen. Die Trassenführung entsprach dabei Überlegungen, die bereits in den 1920er Jahren angestellt worden waren: Die Gleise sollten mehrere hundert Meter nördlich der Billstedter Hauptstraße durch überwiegend noch unbebautes Gebiet geführt werden. Von der Legienstraße bis kurz vor die Haltestelle Merkenstraße entschied man sich für offene Bauweise in einer breiten Rinne, die auch zahlreiche Abstellgleise aufnehmen sollte. Ungefähr in der Mitte der Rinne sollte das Billstedter Zentrum eine eigene Haltestelle erhalten, die zugleich als Busbahnhof dienen sollte.
Parallel zum Öjendorfer Weg, an dem 1929 die neue katholische Kirche und in den 1950er Jahren sowohl das Ortsamt als auch die neue katholische Schule entstanden war, errichtete man nun zwischen der geplanten U-Bahn-Haltestelle und dem Marktplatz - auf einer Fläche, auf der sich bisher mehrere Sportplätze befunden hatten - eine offene Einkaufspassage mit Laubengängen und zahlreichen Geschäften. Einige von ihnen hatten bisher an der Billstedter Hauptstraße ihren Sitz, andere waren neu hinzugekommen, so beispielsweise Karstadt, Schwedenpelz und die Kaufhalle. Im Untergeschoss befand sich eine Tiefgarage. Die Ladenpassage war direkt über eine Brücke mit der U-Bahn-Haltestelle verbunden, den Marktplatz erreichte man über Treppen. Als U-Bahn-Haltestelle und Einkaufszentrum im September 1969 eröffnet wurden, machte der Stadtteil zweifellos einen großen Schritt nach vorne.
An der Billstedter Hauptstraße setze gleichzeitig ein Niedergang ein. Zum einen lag das an dem neuen Einkaufszentrum, das etliche Geschäfte abgezogen hatte und für die verbliebenen eine neue Konkurrenz bildete. Zum anderen wurde das alte Zentrum noch mehr als bisher an den Erfordernissen des Straßenverkehrs ausgerichtet. Der Schiffbeker Weg wurde nun auf vier Fahrspuren verbreitert und über die Moorfleeter Brücke mit dem Industriegebiet Billbrook verbunden. Zwar verlagerte man die B5 in dieser Zeit von der Billstedter Hauptstraße ans Ufer der Bille, doch angesichts des Schwerlastverkehrs, der jetzt den Stadtteil auf dem Weg von oder nach Billbrook passierte, brachte dies keine Entlastung. Lärm und Abgase blieben, und zugleich wurde der Stadtteil von seinem namensgebenden Fluss getrennt. An die Stelle des Billstedter Knotens, auf dem sich bis 1968 die Straßenbahnendhaltestelle befunden hatte, trat nun eine riesige Kreuzung von der Größe zweier Fußballfelder. Neben den Pavillons der Haltestelle fielen ihr auch das Textilhaus Magnus, die linksseitige Bebauung des Schiffbeker Wegs und die in der Nachkriegszeit errichteten eingeschossigen Bauten auf der Südseite zum Opfer. Stattdessen erhielt die Südseite der Billstedter Hauptstraße in Richtung Horn eine neue, deutlich massivere Bebauung. Den Auftakt bildete das heutige Hotel Panorama Inn mit zwölf Geschossen. Dahinter schließen sich seitdem umfangreiche, bis zu neugeschossige Plattenbauten mit mehreren hundert Wohnungen an.
Bis die Zentrumsentwicklung zu einem gewissen Abschluss kam, sollte es noch knapp zehn Jahre dauern. 1977 führte man das Billstedt Center durch einen Erweiterungsbau bis an die Möllner Landstraße vor. Der Wochenmarkt musste hierfür um einige Meter nach Osten verlegt werden und wurde wenig später auf seiner Ostseite durch den achtgeschossigen Neubau eines Ärztehauses gefasst. Zugleich wurden der untere Teil des Öjendorfer Wegs und die Möllner Landstraße in eine Fußgängerzone umgewandelt. Den Verkehr nahm fortan die Reclamstraße auf, die man von der U-Bahn-Haltestelle um das Billstedter Zentrum herum bis zur Billstedter Hauptstraße durchführte. Den östlichen Auftakt für die Fußgängerzone an der Reclamstraße bilden seitdem die Neubauten von Post und Polizeiwache.
Für diese Baumaßnahmen mussten mehrere alte Schiffbeker Gebäude weichen, insbesondere die sogenannten „Spinnhäuser“, die ehemalige Arbeiterkolonie der Jutespinnerei und -weberei. Und auch an der Billstedter Hauptstraße setze sich der Abbruch von Häusern fort, die bisher ihr Erscheinungsbild geprägt hatten. Alteingesessene Geschäfte, die bis jetzt durchgehalten hatten, schlossen nun, oder aber sie siedelten - nicht immer mit Erfolg - ins Billstedt Center oder die Fußgängerzone über. Auf dem ehemaligen Gelände der Schiffbeker Volksschule zwischen Billstedter Hauptstraße und Möllner Landstraße  errichtete die Wohnungsbaugenossenschaft Bergedorf-Bille einen umfangreichen, vier- bis sechsgeschossigen Komplex. Auf der Südseite der Billstedter Hauptstraße entstanden östlich vom Billstedter Knoten das neue Panorama-Hotel und eine größere Anlage der Wohnungsbaugenossenschaft Hansa mit bis zu sieben Stockwerken, während auf der Nordseite zwischen Kreuzkirchenstieg und Legienstraße das neungeschossige Legiencenter in den Himmel wuchs. Größtenteils verfügen auch diese Neubauten in den Erdgeschossen über Ladengeschäfte. Doch das Flair, das die Billstedter Hauptstraße wohl zumindest bis in die 1950er, wenn nicht sogar bis in die 1960er Jahre ausgemacht hatte, mochte sich nicht mehr einstellen. Zu unattraktiv war das Umfeld, zu groß die Konkurrenz des nahen Billstedt Centers.
Umso mehr gilt dies seit Ende der 1990er Jahre. In dieser Zeit wurde der erste Bauabschnitt des Billstedt Centers komplett saniert und umgestaltet. Die bis dahin offene Passage wurde nun mit einem Glasdach versehen und bedeutend erweitert, so dass sie seitdem mit dem zweiten Bauabschnitt eine geschlossene Einheit darstellt. Außerdem konsolidierte sich in dieser Zeit das Umfeld des Billstedt Centers weiter. Auf angrenzenden Flächen, die bisher brach gelegen hatten und zum Teil als Parkplatz genutzt worden waren, errichtete die Wohnungsbaugenossenschaft Hansa mehrere große Komplexe mit Mietwohnungen, die sich deutlich besser in die bestehende Bebauung einfügen als dies an der Billstedter Hauptstraße geschah.
Den vorläufigen Schlusspunkt hatte dort die Bebauung an der Abzweigung der Möllner Landstraße gebildet. Wo einst das Chausseehaus gestanden hatte, war ab Anfang der 1990er Jahre ein mächtiger, achtgeschossiger Bau errichtet worden, der über viele Jahre unter keinem guten Stern stand. Nachdem es schon in der Bauphase zu längeren Unterbrechungen gekommen war, gestaltete sich nach der Fertigstellung die Vermietung der Ladenpassage, die sich über die beiden unteren Stockwerke erstreckt, lange Zeit äußerst schwierig. Größtenteils standen die Geschäfte leer. Erst ein Eigentümerwechsel im Jahr 2007 wendete das Blatt zum Guten. Auch dieses Gebäude wurde nun saniert, und es konnten zahlreiche attraktive Mieter gewonnen werden. An erster Stelle ist ohne Frage Sportspaß zu nennen, das in großen Teilen des Obergeschosses ein Fitness-Studio betreibt. Ähnlich bedeutend ist die Ansiedlung der Gastronomie Schweinske direkt an der Ecke, die bis in den Abend für Belebung sorgt. Und auch die übrigen Läden sind mittlerweile vollständig und vielfach schon seit mehreren Jahren ununterbrochen belegt.
Die restliche Billstedter Hauptstraße wird dagegen in weiten Teilen von Spielhallen, Wettbüros und Leerständen geprägt. Doch auch hier gibt es Lichtblicke. In den letzten Jahren hat sich zwischen der Einmündung des Schiffbeker Wegs und dem Billstedt Center eine ganze Zeile mit überwiegend türkischen Lokalen herausgebildet, die mitunter bis in den Abend südländisches Flair verbreiten.
Außerdem bemühen sich seit Jahren verschiedene Initiativen um eine Aufwertung. Zum einen gab es vor einiger Zeit einen Vorstoß, die Ansiedlung weiterer Spielhallen und Wettbüros zu untersagen. Zum anderen entstand im Rahmen der seit 2006 laufenden, vom Bezirk Hamburg-Mitte betriebenen Aktiven Stadtteilentwicklung die Forderung, die Billstedter Hauptstraße auf zwei Fahrspuren zurückzubauen, so mehr Platz für Fußgänger, Radfahrer und Straßenbegrünung zu schaffen und die Belastung durch Lärm und Abgase zurückzudrängen. Nachdem eine Verkehrszählung ergeben hat, dass zwei Fahrspuren ausreichend sein müssten, läuft seit Frühjahr 2012 ein einjähriger, testweiser Rückbau. Sollte er sich bewähren, könnte eine dauerhafte Umgestaltung folgen. Zugleich würde dann der Weg frei für den Abbruch der unansehnlichen und eher unpraktischen Fußgängerbrücke und ihre Ersetzung durch eine dauerhafte ebenerdige Querung. Ferner ist angedacht, den gegenwärtig völlig verbauten Platz an der Abzweigung der Möllner Landstraße durch städtebauliche Maßnahmen und unter Einbeziehung der angrenzenden Gastronomie in eine lebendige Piazza umzuwandeln. Möglicherweise gelingt es dann auch, aus der Billstedter Hauptstraße wieder einen kleinen Boulevard mit mehr Einzelhandel zu machen.
Zweifellos ist dies noch ein langer, mühseliger Weg. Doch wenn man die heutige Situation mit Bildern von der Billstedter Hauptstraße vergleicht, als es dort noch eine prächtige Allee und ein vielfältiges Einzelhandelsangebot gab, erscheint es wert, dafür zu streiten. Die positiven Entwicklungen der letzten Jahre sollten Mut machen.

„Billstedt an der Bille“ - die städtebauliche Vision für Billstedts Zentrum