Bitte kein Billstedt-Bashing mehr!
Die Kriminalität in Billstedt nimmt seit Jahren ab. Mittlerweile liegt der Stadtteil deutlich unter dem Hamburger Durchschnitt.
Update 2018: Billstedt besser als Wandsbek und Marienthal
Update 2017: weniger Raub, Körperverletzung und Gewaltkriminalität
Update 2016: Billstedt abermals besser als Hamburg
Update 2015: Billstedt trotzt erneut dem Trend
Update 2014: Billstedt trotzt dem Trend
Update 2013: weniger Raub, Körperverletzung und Einbruchsdelikte
„Killstedt. Was Billstedt wirklich ausmacht.“ - mit diesem Slogan warb das Hamburger Abendblatt vor einem knappen Jahr großflächig für seine Stadtteilserie und lieferte damit einen weiteren Beitrag zum „Billstedt-Bashing“,der meist nicht sonderlich qualifizierten, aber umso lustvolleren Negativ-Berichterstattung über den Stadtteil im Hamburger Osten. Andere Beispiele der jüngeren Vergangenheit stammen etwa von Spiegel TV („Wie Integration scheitert“), dem NDR („Kiffen, klauen, zustechen“) oder der Hamburger Morgenpost („Die gefährlichsten Straßen Hamburgs“). Man hat das Gefühl, es gilt „Jeder darf mal“. Egal, ob man das eh schon nicht so tolle Image Billstedts weiter zementiert, Hauptsache, die Einschaltquote bzw. die Auflage stimmt.
Keine Frage, hier gibt es durchaus gesellschaftliche Probleme und soziale Brennpunkte. Was allerdings auch nicht unbedingt überrascht angesichts der deutlich überdurchschnittlich hohe Quote an Sozialwohnungen, Hartz-IV-Empfängern, Menschen mit Migrationshintergrund (49,8%, Hamburg: 29,6%) und Jugendlichen (19,1%, Hamburg: 15,6%). Arbeitslosigkeit, Armut, Adoleszenz und Integration stellen einfach besondere Herausforderungen dar.
Klischees statt Fakten
Viele Menschen und leider auch viele Journalisten assoziieren damit automatisch Gewalt und Kriminalität und pflegen lieber dieses Klischee statt sich einmal unvoreingenommen auf den Stadtteil einzulassen. Wenn der Werbeslogan auch etwas ganz anderes suggerierte, so förderte die Stadtteilserie des Abendblatts beim genaueren Hinsehen doch auch das zutage, was weit mehr der Wahrnehmung vieler Bewohner entspricht, nämlich dass Billstedt keine Kriminalitätshochburg ist, sondern hinsichtlich der Straftaten absolut durchschnittlich.
Zwar sah sich die Redakteurin bemüßigt, davor zu warnen, sein Fahrrad am Billstedter U-Bahnhof abzustellen, da ihres dort entwendet worden war - als wenn nicht auch anderswo Bahnhöfe bei Fahrraddieben besonders beliebt sind -, doch unmittelbar daneben fand sich die Information, dass Billstedt mit 59 Diebstahldelikten je 1000 Einwohner genau auf dem Hamburger Durchschnitt liegt. Und auch bei den Straftaten insgesamt, deren Zahlen dann Ende des Jahres im Stadtteilbuch des Abendblattes veröffentlich wurden, waren es 2011 mit 132 je 1000 Einwohner nur wenig mehr als das Hamburger Mittel (129). Die Neustadt, St.Pauli und St.Georg sowieso, aber auch Wandsbek, Harburg, Altona und Rotherbaum hatten höhere Werte, Ottensen, Eppendorf und Bergedorf lagen nur knapp darunter.
Beeindruckende Entwicklung
Sind dies an sich schon erfreuliche Daten, so stellt sich das Bild noch besser dar, wenn man auf die langfristige Entwicklung schaut. Obwohl die Anzeigebereitschaft sowie die Überwachung durch Sicherheitsdienste und Videoaufzeichnungen zugenommen hat, ist die Zahl der gemeldeten Straftaten seit Jahren im Bereich des PK42 (Billstedt, Billbrook, Horn) rückläufig. Wurden hier in den 1990er Jahren noch 22-23.000 Straftaten pro Jahr registriert, so ist diese Zahl seitdem massiv gesunken. In 2011 waren es erstmals weniger als 14.000 Delikte.
In 2012 hat sich dieser Trend noch einmal in beeindruckender Weise fortgesetzt. Das PK42 registrierte nunmehr sogar weniger als 13.000 Straftaten. Besonders großen Anteil an dieser positiven Entwicklung hatte Billstedt. Hier gingen die gemeldeten Delikte um 9,5% zurück, während diese Zahl in ganz Hamburg nur um 0,6% sank. Mit 114 Straftaten je 1000 Einwohner liegt Billstedt nun leicht unter dem Hamburger Durchschnitt (120) und deutlich unter dem Durchschnitt des Bezirks Hamburg-Mitte (221). Ebenso verhält es sich bei Diebstählen und Drogendelikten: 53 bzw 3,7 Taten je 1000 Einwohner gegenüber 61 bzw. 4,4 in ganz Hamburg und 104 bzw. 11,6 in Hamburg-Mitte. Leicht über dem Hamburger Durchschnitt, aber deutlich unter dem Durchschnitt des Bezirks Hamburg-Mitte liegen die Werte für Körperverletzung und Raub. Hier sind es 13,3 bzw. 2,1 Delikte je 1000 Einwohner gegenüber 11,8 bzw. 1,6 in Hamburg und 25,7 bzw. 3,8 in Hamburg-Mitte. Einzig bei den Einbrüchen lag Billstedt 2012 mit 6,2 Taten je 1000 Einwohner sowohl über dem Wert von Hamburg (3,9) als auch dem von Hamburg-Mitte (3,6). Raub und Einbruch gehörten 2012 zu den wenigen Delikten, die einen Anstieg zu verzeichnen hatten. Dieser fiel in Billstedt mit 16,4%* bzw. 23,1% deutlich stärker aus als in Hamburg gesamt (5,6% bzw. 9,4%). 2011 hatte der Stadtteil noch bei 1,8 bzw. 5 Taten pro 1000 Einwohner und damit wesentlich dichter am Hamburger Durchschnitt gelegen.
Körperverletzung vor allem im sozialen Nahbereich
Ein signifikanter Rückgang war schließlich auch bei den Straftaten an und aus KFZ, bei Ladendiebstählen und bei Sachbeschädigungen zu verzeichnen. Der Rückgang fiel mit 17,6%, 22,3% und 10,6% überwiegend deutlich stärker aus als im Bezirk Hamburg-Mitte (-5,6%, -1,4% und -10,9%). Mit 11,7, 8,1 und 10 Taten je 1000 Einwohner liegt der Stadtteil auch hier zum Teil klar unter den Werten des Bezirks (13,7, 15,7 und 13). Erfreulich ist dabei unter anderem, dass Billstedt aufgrund des starken Rückgangs bei den KFZ-Delikten (von 806 in 2011 auf 634) nicht mehr der führende Straftatschwerpunkt in Hamburg ist. Dieser liegt nunmehr in Winterhude.
Für den Bereich der Körperverletzung (Rückgang um 4,2% gegenüber -3,1% in Hamburg und -1,3% in Hamburg-Mitte) gilt, dass sich bei etwa 70% der Fälle Täter und Opfer kennen. Eine besondere Bedeutung kommt hierbei der häuslichen Gewalt sowie der Gewalt unter Jugendlichen zu. Im letzteren Fall kommt es zudem häufig vor, dass die Opfer in anderen Fällen als Täter in Erscheinung treten. Man kann also in beiden Fällen in hohem Maße von Taten sprechen, die sich innerhalb eines Milieus abspielen und von denen für Unbeteiligte ein eher geringes Gefährdungspotential ausgeht. Zudem ist auch die Jugendkriminalität rückläufig. 2012 verringerte sich die Zahl der Delikte hamburgweit um 6,4%.
Erfolgreiche Polizeiarbeit
Bildet sich doch einmal ein Kriminalitätsschwerpunkt heraus, so ist es der Billstedter Polizei bisher immer relativ schnell gelungen, der Lage Herr zu werden. Als zuletzt vor einigen Jahren eine Gruppe Jugendlicher und junger Erwachsener die Siedlung Sonnenland terrorisierte, wurden die Täter binnen kurzer Zeit verhaftet und gegen die Haupttäter Haftstrafen von teils mehr als sieben Jahren verhängt. Ansonsten schafft es der Polizei häufig, entstehende Gefährdungspotentiale auf dem Weg der Prävention einzudämmen. Insbesondere die Zusammenarbeit mit den Schulen spielt dabei eine große Rolle. Aber auch die Kooperation mit betroffenen Familien und Nachbarschaften sowie der Einsatz der Reiterstaffel haben sich oft als effektiv erwiesen.
Schade, dass sich diese Informationen nicht auch einmal in den großen Medien finden. Aber wahrscheinlich ist es einfach zu mühsam, sich wirklich einmal differenziert mit den Zahlen auseinanderzusetzen, und eine schrille Schlagzeile ist damit vermutlich auch nicht leicht zu haben. Außerdem hieße es ja einzugestehen, dass man selbst jahrelang ziemlich neben der Spur gewesen ist und sich statt von Fakten lieber von Klischees hat leiten lassen, um diese dann selbst zu verstärken.
Schön wäre es, wenn Journalisten sich wirklich einmal vorurteilsfrei auf Billstedt einlassen und ggf. auch einmal ihre Maßstäbe überprüfen würden. Für viele Bewohner ist Billstedt nämlich ein lebendiger, intakter, lebens- und liebenswerter Stadtteil, in dem es auch noch Platz für Menschen mit kleineren Einkommen gibt, in dem Integration durchaus und immer besser funktioniert und der so einen wichtigen Beitrag für die Weiterentwicklung Hamburgs leistet. Einseitige und überzogene Berichterstattung über die bestehenden Probleme werden der Sache nicht gerecht und tun denjenigen, die sich mit dem Stadtteil identifizieren und sich in ihm engagieren, einfach nur weh.
(Datenbasis: Kriminalitätsstatistik 2012 aus der Hamburger Morgenpost)
* Laut dem stellvertretenden Leiter des PK42 Herrn Reuter stiegen die Raubdelikte in Billstedt in 2012 lediglich um 3,6%.