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800 Jahre Öjendorf. Eine kurze Geschichte des Billsteder Ortsteils

Der heutige Billstedter Ortsteil Öjendorf wurde im Jahr 1224 erstmalig urkundlich erwähnt. Vermutlich ist er aber mindestens noch einige Jahrzehnte älter. Seine Anfänge lagen südlich der Einmündung des Jenfelder Bachs in den Schleemer Bach, der hier seine Fließrichtung nach Süden wendet, um dann einige hundert Meter weiter in die Bille einzumünden. Bei dem Dorf handelte es sich anfangs um ein Sack- oder Rundplatzdorf, das mutmaßlich von Osten erschlossen wurde. Es lag abseits überregionaler Wege und verfügte über eine regelrechte Schutzlage: Im Norden und Westen wurde es von der feuchten Niederung des Schleemer Bachs umfasst, im Süden schloss sich das Kampmoor an.

Man nimmt an, dass das Dorf anfangs über fünf Höfe verfügte, die sich im Halbrund auf der Spitze der trockenen Landzunge gruppierten. Rückwärtig verfügten sie wohl über Weideland, das sich bis zum Bach bzw. Moor erstreckte. Das Dorf befand sich im äußersten Südwesten seiner Feldmark: Östlich schlossen sich seine Felder und Wiesen an, im Norden lag eine weitläufige Hochmoor- und Heidelandschaft, die auf die letzte Kaltzeit zurückging und nur recht wenig landwirtschaftlich genutzt wurde.

Auch Mitte des 14. Jahrhunderts zählte Öjendorf noch fünf Hofstellen, danach stieg ihre Zahl auf acht, wobei es wohl keine lineare Entwicklung war: Verfügte der Ort zu Beginn des 15. Jahrhunderts infolge einer Dürreperiode sowie einer Pestepidemie möglichweise nur noch über zwei Höfe, so waren es im Jahr 1525 wieder acht. Die neuen Höfe waren östlich vom Dorfkern zu beiden Seiten der Zuwegung entstanden, wodurch es sich nun zu einem Halbangerdorf wandelte. Eine Einwohnerzahl ist erstmals für das Jahr 1634 überliefert: Damals zählte Öjendorf 88 Einwohner, während das westlich gelegene Schiffbek auf 96 und das südlich anschließende Kirchsteinbek auf 175 kam.

In den 1570er Jahren lassen sich erstmals unterbäuerliche Siedlerschichten nachweisen: Im Jahr 1578 ein erster Kätner, ein Jahr später ein erster Brinksitzer. Bei diesen handelte es sich meist um nicht-erbende Bauernkinder, die nicht in einen anderen Hof einheiraten konnten und mit einem Stück Land abgefunden wurden. Dabei war der Landbesitzer der Kätner deutlich geringer als der der Hufner, aber zugleich wesentlich größer als der der Brinksitzer. Gewöhnlich waren sie deshalb auf einen weiteren Broterwerb neben der Landwirtschaft angewiesen und übten meist auch noch ein Handwerk aus. Und tatsächlich arbeitete der erste Öjendorfer Brinksitzer zugleich auch als Zimmermann und war damit der erste Handwerker des Dorfes. Bis zum Jahr 1778, als die bis dahin bestehenden Gewannflure aufgemessen und in Koppeln überführt wurden, stieg die Zahl der Höfe auf sieben Vollhufen und zwei Halbhufen, die der Katen auf zwei und die der Brinksitzerstellen auf fünf. Im Jahr 1860 zählte der Ort dann 26 Gebäude sowie 44 Haushaltungen mit insgesamt 199 Personen. An Handwerkern gab es nun einen Schmied, einen Maurer, einen Zimmermann, einen Schuster einen Schneider, eine Näherin sowie einen Milcher.

Die bedeutendste Hofstelle Öjendorfs war der Öjendorfer Hof, der sich am Westrand des Dorfes befand. Seit dem spätesten 17. Jahrhundert befand er sich im Besitz wohlhabender Hamburger, die ihn zu einem herrschaftlichen Landsitz ausbauten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verbrachte hier der weitgereiste aufklärerische Schriftsteller und Publizist Johann Wilhelm von Archenholz seinen Lebensabend. Mitte des 19. Jahrhunderts verfügte das Anwesen über zweieinhalb Hufen, eine Kate, eine Schmiede, eine Schäferei sowie über das Recht, Bier zu brauen. Im Jahr 1857 wurde hier ein neues zweistöckiges Herrenhaus errichtet, das den Namen Louisenhof erhielt. 

Bis zum Jahr 1905 stieg die Zahl der Gebäude bis auf 67 und die der Einwohner auf 682.Neben dem Louisenhof gab es vier weitere großbäuerliche Stellen, die sich im Besitz der Landwirte Bockholdt, Meyer, Kratzmann und Hildebrandt befanden. Während der Louisenhof über 94 Hektar Land verfügte, waren es bei den anderen vier Hufnern 48 bis 60 Hektar. Zählte der Louisenhof 67 Rinder und neun Pferde, so hatten diese Platz für bis zu 18 Rinder und sechs Pferde. Am Dorfplatz zwischen der Einmündung der heutigen Straßen Mattkamp und Reinskamp in die heutige Archenholzstraße befanden sich die Armenkate sowie das Spritzenhaus der Freiwilligen Feuerwehr, die im Jahr 1890 gegründet worden war. Daneben verfügte der Ort nun auch über zwei Gastwirtschaften, zwei Bäckereien, ein Kolonialwarengeschäft und ein Schulgebäude mit drei Klassenräumen. Die bedeutendsten gesellschaftlichen Ereignisse waren der jährliche Feuerwehrball, das Vogelschießen sowie das Ringreiten, das auf der Wiese hinter der Viehhandlung von Johannsen & Siemers an der Merkenstraße abgehalten wurde. Direkt gegenüber befand sich die Gastwirtschaft mit dem einzigen Saal im Ort.

29 Männer aus Öjendorf kehrten aus dem Ersten Weltkrieg nicht zurück. Mit dem Ende des Kaiserreichs gelangte nun auch hier die Sozialdemokratie an die Macht, nachdem zuvor die besitzenden Schichten die Geschicke des Ortes bestimmt hatten. Angesichts der großen Not entstanden mehrere Kleingartenkolonien, durch die ihre Pächter ihre Versorgungssituation verbessern wollten. Kurz vor der Grenze nach Oststeinbek ermöglichte die Adolf-Woermann-Gedächtnisstiftung bedürftigen Familien, sich ein Siedlungshaus zu errichten. Aufgrund der Afrika-Aktivitäten der Reederei Woermann bürgerte sich für dieses Gebiet bald die Bezeichnung Kamerun ein. Mit 687 Einwohnern war der Ort aber auch im Jahr 1925 kaum größer als zwanzig Jahre zuvor. Zwei Jahre später wurde er mit den beiden Nachbargemeinden Kirchsteinbek und Schiffbek zur neuen Großgemeinde Billstedt zusammengefasst.

Im selben Jahr erwarb das Unternehmen Polensky & Dr. Ing. Rathjens im Öjendorfer Norden 132 Hektar Land, sicherte sich für weitere 160 Hektar das Vorkaufsrecht und baute dort bis 1931 mit riesigen Eimerbaggern in großem Stil Sand ab, den man in erster Linie mit einer Lorenbahn in die Horner Marsch transportierte, um diese hochwasserfrei aufzuhöhen. Im Jahr 1933 kaufte die Stadt Hamburg dann dort ein 314 Hektar großes Areal, das auch die Sandgrube umfasste, und begann mit den Vorarbeiten für einen weiteren Großfriedhof.

In der Endzeit der Weimarer Republik wurde im Rahmen von Notstandsarbeiten an der Möllner Landstraße auf dem Gelände eines früheren Kalksandsteinwerks mit der Anlage eines Sportplatzes begonnen, der dann von den Nationalsozialisten mit dem Reichsarbeitsdienst fertiggestellt wurde. Im Jahr 1937 erfolgte die Eingemeindung der Großgemeinde Billstedt nach Hamburg. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs stellte man die Arbeiten an dem Friedhof ein. Bald wurden im Saal der Gastwirtschaft polnische Zwangsarbeiterinnen und auf dem Louisenhof französische Kriegsgefangene untergebracht. Bei den alliierten Luftangriffen wurden sämtliche Bauernhäuser des Ortes schwer beschädigt. Das Herrenhaus des Louisenhofs nutzt man nun für die Unterbringung von Ausgebombten. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs stürzte am Öjendorfer Steinkamp ein britischer Bomber ab, wobei fünf Besatzungsmitglieder starben. Von den beiden Überlebenden, die sich mit ihren Fallschirmen hatten retten können, wurde einer wenig später bei der Überführung vom Heereszeugamt in Glinde nach Reinbek ermordet.

Auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs blieb Öjendorf noch für einige Zeit ein kleines Dorf inmitten seiner weitläufigen Feldmark. Von 1948 bis 1954 transportierte die Stadt Hamburg nun von der Burgstraße mit einer Lorenbahn insgesamt 43 Millionen Kubikmeter Trümmerschutt in die Sandgrube im Öjendorfer Norden. Dann versetzte man die bis dahin an der Burgstraße betriebene Trümmeraufbereitungsanlage hierher und ließ sie noch bis 1966 laufen. In diesem Jahr wurde auch der Friedhof Öjendorf fertiggestellt, bei dem man ebenfalls im Jahr 1954 die Arbeiten wieder aufgenommen hatte. Auf einer Fläche von 96 Hektar, die bis auf 200 Hektar erweitert werden konnte, wurde er der erste Rasenfriedhof Deutschlands.

Im Jahr 1953 war im Bezirksamt Hamburg-Mitte zudem der Plan entwickelt worden, auf dem Gelände der ehemaligen Sandgrube einen öffentlichen Park einzurichten. Bereits ein Jahr später begann man damit, Wasser aus dem Schleemer Bach in die Grube einzuleiten und so einen großen See entstehen zu lassen. Im Jahr 1958 erhob man das 141 Hektar große Gelände zum Landschaftsschutzgebiet. Mit riesigen Planierraupen modellierte man aus den zermahlenen Trümmern die Parklandschaft, man forschte nach Rasensaaten, die auf derart kargen Böden gedeihen konnten, es wurden insgesamt 800.000 Bäume gepflanzt und ein Rodelberg, zwei Badestellen sowie mehrere Spielplätze angelegt. Schließlich konnte der Park im Jahr 1968 der Öffentlichkeit übergeben werden.

Im östlichen Teil der Öjendorfer Feldmark zu beiden Seiten der Merkenstraße, entlang der Straße Öjendorfer Höhe mit ihren Nebenstraßen sowie an Mattkamp und Reinskamp setzte unterdessen ein umfangreicher Siedlungsbau ein, der in den 1970er Jahren mit mehreren Hochhäusern an der neugeschaffenen Glinder Straße seinen Abschluss fand. Angesichts der zahlreichen neuen Bewohner wurde Öjendorf im Jahr 1964 in die kirchliche Eigenständigkeit entlassen, nachdem es seit 1265 zum Kirchspiel Steinbek gehört hatte. Im Jahr 1966 erfolgte an der Ecke Möllner Landstraße/Merkenstraße die Grundsteinlegung für die Jubilate-Kirche, die zu Weihnachten 1967 geweiht werden konnte. Mittlerweile hat sie angesichts des massiven Mitgliederschwunds mit der Schiffbeker Kreuzkirche fusioniert. Im Jahr 1970 erhielt Öjendorf in unmittelbarer Nachbarschaft zur Jubilate-Kirche mit der Haltestelle Merkenstraße Anschluss an das Hamburger Hochbahnnetz.

Für den historischen Dorfkern Öjendorfs wurde im Jahr 1955 ein Bebauungsplan präsentiert, der die Entwicklung zum Gewerbegebiet vorsah. Auf den Höfen von Bockholdt und Kratzmann siedelten sich tatsächlich bald Firmen an, während der Louisenhof in den 1960er Jahren abgebrochen und an seiner Stelle ein großzügiger Bungalow errichtet wurde. Im Hof des Bauern Meyer eröffnete das Restaurant Landhaus Öjendorf, das bis über die Jahrtausendwende hinaus Bestand hatte. Ähnlich lange wurde auch noch der Hof des Bauern Hildebrandt am Reinskamp als letzter verbliebener Bauernhof Öjendorfs betrieben. Die Höfe von Meyer und Kratzmann hat man in den letzten Jahren als moderne Wohngebäude mit mehreren Reihenhäusern neu errichtet, wobei man ihre ursprüngliche Form mehr oder weniger erhalten hat. Ebenso ist man mit einem weiteren bäuerlichen Gebäude verfahren. Und vermutlich werden auch auf dem Hof des Bauern Hildebrandt, der nun leer steht, früher oder später Neubauten errichtet werden.

Gleichfalls zu Öjendorf gehört die Siedlung Haferblöcken, die ab Ende der 1990er Jahre nördlicher des Öjendorfer Friedhofs auf einer ursprünglich für dessen Erweiterung vorgesehenen Fläche errichtet wurde. Mittlerweile sind dort mehrere hundert Wohnungen in Einzel-, Doppel-, Reihen- sowie Mehrfamilienhäusern entstanden. Ähnliche Pläne präsentierte die Stadt Hamburg im Jahr 2014 mit ihrer städtebaulichen Initiative „Stromaufwärts an Elbe und Bille“: Sie sieht für den Bereich zwischen Südrand des Öjendorfer Parks und der Glinder Straße die „Gartenstadt Öjendorf“ vor.