Der Siemershof in Schiffbek und der zweifelhafte Ernst Emil Jenkel
Das Dorf Schiffbek befand sich im Bereich des heutigen Billstedter Zentrums. Seine erste urkundliche Erwähnung fällt in das Jahr 1212. Es war von Beginn an ein Straßendorf an der heutigen Billstedter Hauptstraße. Diese war Teil eines uralten Fernhandelswegs, der von Jütland kommend im Bereich der Hamburger Innenstadt die Alster querte und dann immer dem Nordrand des Elburstromtals folgte. Das Dorf Schiffbek erstreckte sich ungefähr von der Horner Grenze bis zur Abzweigung der heutigen Möllner Landstraße.
Im Jahr 1634 wurden in Schiffbek acht Hufen und elf Katen ermittelt. Die Einwohnerzahl betrug zu dieser Zeit 96. Bei den Hufnern handelte es sich um die Vollbauern, deren Hofstellen so bemessen waren, dass sie ihren Besitzern und deren Familien gewöhnlich ein gutes Auskommen sicherten. Die Kätner waren meist nicht-erbende Bauernkinder, die mit einem Stück Land abgefunden worden und häufig auf einen zusätzlichen Nebenerwerb angewiesen waren. Mitte des 19. Jahrhunderts kam der Ort dann bei einer Einwohnerzahl von 494 Personen auf fünf Vollhufen, eine Halbhufe, drei Viertelhufen, acht Brinksitzerstellen und sieben Anbauerstellen. Auch Brinksitzer und Anbauer waren Landwirtschaft treibende unterbauerliche Schichten, die sich häufig aus dem Kreis der nicht-erbenden Bauernkinder rekrutierten. Ihre Stellen waren deutlich kleiner als die der Kätner, so dass auch sie für ihren Lebensunterhalt auf einen Nebenerwerb angewiesen blieben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als sich Schiffbek im Zuge der Industrialisierung bereits zu einem Arbeiterquartier mit knapp zehntausend Einwohnern gewandelt hatte, gab es in dem Ort noch vier große Bauernstellen: den Siemershof, den Hof von Adolf Schomacker und Stellen von Fritz und Peter Westphal.
Diese vier Höfe lagen alle auf der Südseite der Billstedter Hauptstraße und gruppierten sich lose um den Schiffbeker Dorfplatz, der sich auf Höhe der Abzweigung des heutigen Schiffbeker Wegs befand. Ihre Obstgärten erstreckten sich bis zum Ufer der Bille und sollen zur Zeit der Blüte einen äußerst malerischen Anblick geboten haben. Die Hofstelle von Schomacker lag östlich des Hohlwegs, der vom Dorfplatz zum Lösch- und Ladeplatz am Ufer der Bille führte. Der Hof von Peter Westphal folgte jenseits des Hohlwegs. Westlich schloss sich an diesen der Siemershof an, hinter dem sich der Hof von Fritz Westphal befand.
Die Familie Siemers lässt sich bereits im 17. Jahrhundert in Schiffbek nachweisen. Zwar saß sie damals noch nicht auf der später nach ihr benannten Hofstelle, doch offensichtlich gehörte sie bereits zur bäuerlichen Oberschicht. So konnte ihr Sohn Peter Siemers im Jahr 1676 in die Oststeinbeker Bauernfamilie einheiraten, zu der die dortige Mühle gehörte und die den Oststeinbeker Bauernvogt stellte. Bis zu seinem Tod im Jahr 1693 bekleidete er dieses Amt dann selbst. Sein Sohn Caspar Friedrich Siemers wiederum heiratete im Jahr 1701 in die Schiffbeker Bauernvogtstelle ein, auf der bis dahin die Familie Bruns/Gravert gesessen hatte, und begründete eine Tradition, die die Umbenennung der Stelle in „Siemershof“ mit sich brachte. Denn auch sein Sohn, sein Enkel und sein Urenkel – alle mit dem Vornamen Caspar Friedrich – führten den Hof bis weit in das 19. Jahrhundert hinein.
Caspar Friedrich I. starb hochbetagt im Januar 1760 und überlebte seinen im Jahr 1702 geborenen, offensichtlich einzigen Sohn aus der Ehe mit Catharina Gravert um mehr als ein Jahr. Aus dessen Ehe mit Agneta von Haren aus Billwerder gingen unterdessen zehn Kinder hervor, je fünf Mädchen und fünf Jungen. Ihr siebtes Kind war der im Jahr 1744 geborene Caspar Friedrich III., der im Jahr 1774 Gesa Elisabeth Richter aus Horn heiratete. Sie bekamen insgesamt neun Kinder, darunter auch die im Dezember 1788 geborene Gesa, die bereits im Alter von 17 Jahren der Steinbeker Mühlenbesitzer Franz Georg Jacob Neubauer heiratete und nach den Aufzeichnungen des Steinbeker Pastors eine der bedeutendsten Persönlichkeiten auf den Hof der Mühle gewesen sein soll. Ihre Tochter Gesa Caroline wiederum heiratete im Jahr 1829 den Mühlenpächter und Bauernvogt von Oststeinbek. Als dieser Nikolaus Siemers im Jahr 1838 verstarb, holte sie sich einen sogenannten „Setzwirt“ auf die Mühle, da der gemeinsame Sohn Nikolaus Julius Siemers noch nicht volljährig und damit noch nicht berechtigt war, die Stelle zu führen. Bei dem Setzwirt handelte es sich um Joachim Jacob Friedrich Jenkel aus Witzeeze bei Büchen, der die Witwe des Verstorbenen dann im Mai 1840 vor den Traualtar führte.
Der Siemershof in Schiffbek war unterdessen in die Hände des im April 1775 geborenen ältesten Sohns von Caspar Friedrich III. übergegangen. Dieser heiratete Catharina Albertine Stooß und starb hochbetagt im Dezember 1862. Da diese Ehe kinderlos blieb, endete mit ihm die Besitzerreihe der Siemers auf der Hofstelle. Er hatte jedoch zwei Verfügungen hinterlassen. Zum einen stiftete er ein Legat, aus dem alte Schiffbeker Witwen alljährlich zu Weihnachten eine Zuwendung erhalten sollten, deren Höhe sich nach der Anzahl der Witwen bemaß. Zum anderen hatte er bestimmt, dass der Hof nur innerhalb der Familie verkauft werden dürfe. Und da schlug die Stunde von Joachim Jacob Friedrich Jenkel. Da sein Stiefsohn mittlerweile volljährig war, erwarb er gemeinsam mit seiner Frau Gesa Caroline den Siemershof in Schiffbek und bekleidete bis zum Jahr 1867, als Holstein an Preußen fiel und sich damit die Gemeindeordnung änderte, auch das Amt des Bauernvogts. Ihm folgten auf der Stelle zunächst sein im Jahr 1841 geborener Sohn Johann Emil Jenkel, der allerdings bereits im Jahr 1888 verstarb, und dann dessen im Jahr 1877 geborener Sohn Ernst Emil Jenkel.
Dieser Ernst Emil Jenkel, der im Jahr 1956 verstarb, war der letzte Bauer auf dem Schiffbeker Siemershof und entwickelte sich zu einer der schillerndsten Figuren des Ortes in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er dürfte es gewesen sein, der das alte, reetgedeckte Bauernhaus durch einen repräsentativen, zweigeschossigen Neubau mit Ziegeldach ersetzte. Er wusste es für sich zu nutzen, als bald nach der Jahrhundertwende die Bodenspekulation Schiffbek erfasste, und verkaufte mehrere Koppeln an auswärtige Investoren. Und schließlich hegte er nicht unbeträchtliche politische Ambitionen.
Letzteres gestaltete sich für ihn allerdings ein wenig schwierig: Seit der Einverleibung Schleswig-Holsteins in den preußischen Herrschaftsbereich im Jahr 1867 galt auch hier das preußische Dreiklassenwahlrecht von 1849. Die Wahlberechtigten wurden aufgrund ihrer Steuerleistung einer der drei Wahlklassen zugeordnet, die jeweils über die gleiche Anzahl an Mandaten abstimmen durfte. Hierdurch zählte bei den Wahlen zur Schiffbeker Gemeindevertretung im März 1913 die erste Wahlklasse zehn Stimmberechtigte, die zweite knapp 60 und die dritte annähernd 1.200. Als wohlhabender Hofbesitzer gehörte Jenkel der ersten Wahlklasse an, hatte hier jedoch offensichtlich – vielleicht als Zugezogener – keine Aussicht auf die Erlangung eines Mandats. Deshalb kandierte er in der zweiten Wahlklasse, die vom Mittelstand geprägt wurde, was einige Empörung auslöste. So schrieb der „Lokal-Anzeiger“, dessen Drucker und Herausgeber Schulz auch selbst kandidierte, „es handele sich bei den Wahlen in Schiffbek zur Zeit um einen Kampf der Bürgerschaft gegen eine kleine Minorität, welche meine, in Schiffbek noch ausschlaggebende Bedeutung zu haben.“ Jenkel gehöre zum Kreis derjenigen Personen, „die ihr Einkommen nicht etwa durch Bildung, sondern lediglich durch die von ihren Vätern ererbten großen Grundstücke, für die sie durch die Entwickelung Hamburgs kolossale Preise erzielen, durch Erbauung großer Mietskasernen, bei denen die Mieter den Steuerbetrag aufbringen, oder durch Tausende in der Fabrik beschäftigte Arbeiter, die den Reingewinn erübrigen müssen, errungen haben.“ An anderer Stelle wurde er ironisch als „der größte Landwirt Schiffbeks“ bezeichnet. Und schließlich bezichtigte man ihn der Wahlmanipulation, da er sich angeblich mit finanziellen Zuwendungen um Stimmen bemüht hatte. Dies zielte insbesondere auf das Drittel der Stimmen für Jenkel, die von Witwen sowie von auswärtig wohnenden Stimmberechtigten stammten.
Während der sozialdemokratische Kandidat in der zweiten Wahlklasse lediglich zwölf der insgesamt 53 abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen konnte, kam es zu einem Patt zwischen Schulz und Jenkel, den letzterer dann per Los für sich entschied. So bestimmte Jenkel in den letzten Jahren des Deutschen Kaiserreichs als Mitglied der Gemeindevertretung die Geschicke Schiffbeks mit und fungierte während des Ersten Weltkriegs unter anderem als Vertrauensmann für die Lebensmittelverteilung. Dadurch zog er offensichtlich das Misstrauen des hier am 11. November 1918 im Zuge der Revolution gebildeten Arbeiter- und Soldatenrates auf sich: Bereits wenige Tage später führte sein Mitglied Krüger gemeinsam mit einer Patrouille bei Jenkel eine Haussuchung durch, die allerdings ergebnislos blieb.
Und auch in der Zeit der Weimarer Republik spielte Jenkel in der Gemeindevertretung Schiffbeks und Billstedts, das im Jahr 1927 durch den Zusammenschluss mit den beiden Nachbargemeinden Kirchsteinbek und Öjendorf entstand, eine herausragende Rolle. Zwar war die bürgerliche Ordnungsliste, der er nun angehörte, bei der jetzt in allgemeiner, gleicher, direkter und geheimer Wahl bestimmten Zusammensetzung des Gremiums meist nur die drittstärkste Kraft hinter den beiden Arbeiterparteien SPD und KPD, die zeitweise auf mehr als 60% der abgegebenen Stimmen kamen. Doch da die SPD die Zusammenarbeit mit der KPD scheute und stattdessen lieber mit der Ordnungsliste zusammenarbeitete, amtierte Jenkel bis in die 1930er Jahre als Stellvertreter des Sozialdemokraten Heinrich Klink, der zunächst das Amt des kommissarischen und schließlich auch das des besoldeten Gemeindevorstehers bekleidete.
Auch in dieser Zeit tätigte Jenkel umfangreiche Grundstücksverkäufe. So trat er Anfang der 1920er Jahre die östlich vom heutigen Schiffbeker Weg gelegene Moorkoppel an die „Gemeinnützige Eigenheimsiedlungs- und Wirtschaftsgenossenschaft der Kriegsopfer e.G.m.b.H.“ ab, die hier die Siedlungsgenossenschaft Schiffbeker Höhe einrichtete. Allerdings sah sich Jenkel bei diesem Grundstücksgeschäft durch die Genossenschaft übervorteilt, da der Verkauf in die Zeit der nach Ende des Ersten Weltkriegs zunehmend galoppierenden Inflation fiel und der vereinbarte Kaufpreis sehr schnell an Wert verlor. Jenkel zog deshalb vor Gericht, wo ihm tatsächlich ein hundertprozentiger Aufschlag auf die ursprünglich beschlossenen 66 Pfennige je Quadratmeter zugesprochen wurde. Außerdem mussten die Siedler die Gerichtskosten übernehmen.
Bei den Gemeindewahlen am 12. März 1933 trat die Ordnungsliste dann in Billstedt gar nicht mehr an. Stattdessen standen nun auch auf kommunaler Ebene die NSDAP sowie die unter Beteiligung der DNVP gebildete Kampffront Schwarz-Weiß-Rot zur Wahl, die ein Wochenende zuvor auf Reichsebene zusammen eine absolute Mehrheit erzielt hatten. Gleichwohl sie bei den Billstedter Gemeindewahlen gemeinsam nur 39% der Stimmen erlangten, erfolgte auch hier in den nächsten Wochen die Gleichschaltung der Kommunalpolitik unter Ausschluss der politischen Gegner.
Der Gemeindevorsteher Klink war bereits am 9. März 1933 beurlaubt worden. Um ihn um seine Pensionsansprüche zu bringen, überzog man ihn später noch mit zwei Disziplinarverfahren, die allerdings scheiterten. Nach der Beurlaubung Klinks fiel die Führung der Amtsgeschäfte zunächst an Jenkel, der dann jedoch Ende März durch seinen Rücktritt den Weg dafür freimachte, dass dem Lehrer und Nationalsozialisten Diekgräf vom Regierungspräsidenten in Schleswig das Amt des kommissarischen Gemeindevorstehers übertragen werden konnte. So konnte dieser am 4. April 1933 die denkwürdige konstituierende Sitzung der Billstedter Gemeindeversammlung leiten, in der die Sozialdemokraten noch vor ihrem Verbot Anfang Mai unter äußerst zweifelhaften Umständen um die bisher auch für die Opposition bestehenden Möglichkeiten zur politischen Teilhabe gebracht wurden.
Bei der nächsten Gemeindeversammlung am 30. Juni 1933 fungierte dann bereits der Kieler Nationalsozialist Hans Hingst als kommissarischer Gemeindevorsteher, der nun für die Dauer von 12 Jahren zum besoldeten Gemeindevorsteher gewählt und im Januar 1937 durch seinen Parteigenossen Adolf Kotthaus abgelöst wurde. Das Amt des Gemeindevorstehers war unterdessen im August 1934 in „Gemeindeschulze“ und durch die mit Wirkung zum 1. April 1935 erlassene reichseinheitliche Deutsche Gemeindeordnung (DGO) vom 30. Januar 1935 in „Bürgermeister“ umbenannt worden. Mindestens bis zum 30. November 1934 – so lange sind die Gemeindeprotokolle erhalten – blieb Jenkel Mitglied der Gemeindeversammlung, die bald in „Gemeinderat“ umbenannt wurde, deren Mitglieder man nun „Gemeindeälteste“ nannte und zu der spätestens ab Januar 1934 auch der ranghöchste Führer der SA oder SS gehörte. Abgesehen von urlaubsbedingten Abwesenheiten nahm Jenkel an allen Sitzungen teil.
War Jenkel über die Liste der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot in die Gemeindeversammlung gewählt worden, so findet sich sein Name bei der Gemeindeversammlung Anfang April 1933 auf Seiten der DNVP. Dies war vermutlich auch der Grund dafür, dass er das Amt des kommissarischen Gemeindevorstehers dem Nationalsozialisten Diekgräf überließ. Man sollte annehmen, dass er dann später auch zur NSDAP wechselte. Auf jeden Fall löste sich die Reichstagsfraktion der DNVP bereits im Juni 1933 auf, und die Billstedter Gemeindeversammlung wurde im Dezember 1933 als „nationalsozialistisch“ bezeichnet.
Mit Inkrafttreten der DGO wurden die Gemeinderäte nun vom Bürgermeister „im Benehmen“ mit dem „Beauftragten“ der NSDAP berufen. Dies dürfte der Ortsgruppenleiter Bode gewesen sein, der schon auf der konstituierenden Gemeindeversammlung im April 1933 von sich Reden gemacht hatte. Abstimmungen waren fortan nicht mehr vorgesehen, doch der Bürgermeister war verpflichtet, wichtige Angelegenheiten mit den Gemeinderäten zu besprechen. Eine Verletzung dieser Pflicht führte allerdings nicht zu einer Unwirksamkeit der von ihm vorgenommenen Rechtshandlungen. Die Gemeinderäte verfügten gegenüber dem Bürgermeister über ein Äußerungsrecht, unterlagen einer „eigenverantwortlichen“ Beratungspflicht und sollten in der Bevölkerung für die Maßnahmen des Bürgermeisters „Verständnis schaffen“. Ob Jenkel nach 1934 zu einem solchen Gemeinderat bestellt wurde, ist nicht überliefert. Doch angesichts seines loyalen Verhaltens und seiner langjährigen Erfahrung sollte man hiervon wohl ausgehen können.
Als Jenkel im Frühjahr 1956 verstarb, wurde seine Verstrickung in das dunkle Kapitel der NS-Zeit in dem Nachruf, den der Billstedter Anzeiger veröffentliche, geflissentlich beschwiegen. Dort hieß es: „Am Sonntag wurde auf dem Kirchsteinbeker Friedhof unter großer Anteilnahme der Bevölkerung Ernst Jenkel zur letzten Ruhe geleitet. Am 24.4.1877 in Schiffbek geboren, hat er sich schon vor dem 1. Weltkrieg in der Gemeindevertretung und im Amtsausschuß des Amtsbezirks Schiffbek für die öffentlichen Belange eingesetzt. Nach dem Krieg war er bis 1933 Mitglied des Gemeindevorstandes und der Gemeindevertretung in Billstedt. Auch dem Kreisausschuß Stormarn gehörte er an. Seine objektive Art wurde allgemein anerkannt. Im Vorstand des Schiffbeker Bürgervereins sowie als Vorsitzender des Haus- und Grundeigentümervereins erwarb sich Ernst Jenkel ebenfalls Verdienste. Im vergangenen Jahr konnte er noch in seiner Wohnung, Billstedter Hauptstraße 25, die Goldene Hochzeit feiern. Mit ihm ist ein alter Billstedter, der vielen bekannt war, dahingegangen.“
Der Siemershof wurde ebenso wie zahlreiche weitere Gebäude in Billstedt bei dem schweren alliierten Luftangriff auf Hamburg in der Nacht auf den 28. Juli 1943 zerstört. Der zu diesem Zeitpunkt bereits 65jährige Jenkel ließ den Hof notdürftig wiederherrichten. Ein Foto aus der Nachkriegszeit zeigt das Gebäude in stark veränderter Form als eingeschossigen Bau mit flachem Dach. Jenkel blieb weiterhin hier wohnhaft, aber er wird wohl nicht mehr als Landwirt tätig gewesen sein. Zumindest wird er im Hamburger Adressbuch aus dem Jahr 1950 im Gegensatz zu dem aus dem Jahr 1943 nicht mehr als solcher geführt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite praktizierte seine Tochter Helene Dibbern bereits seit den 1940er Jahren als niedergelassene Ärztin. Und die verbliebenen landwirtschaftlich genutzten Flächen beiderseits des Schiffbeker Wegs wurden nun nach und nach in Bauland umgewandelt.
Die politischen Geschicke Billstedts wurden nach Ende des Zweiten Weltkriegs von der britischen Besatzungsmacht zunächst wieder in die Hände des ehemaligen Gemeindevorstehers Heinrich Klink gelegt. Dieser holte unter anderem den gelernten Schriftsetzer Albert Feser hinzu, der wie er Sozialdemokrat war, bis 1927 stellvertretender Gemeindevorsteher Öjendorfs gewesen war, dann in die Billstedter Gemeindeverwaltung gewechselt hatte und von dort durch die Nationalsozialisten entfernt worden war. Während Klink bereits im Jahr 1946 verstarb, blieb Feser bis zu seiner Pensionierung in der Billstedter Verwaltung tätig. Erster Billstedter Bürgerschaftsabgeordneter wurde unterdessen der Sozialdemokrat Karl Strutz. Er war im Jahr 1908 geboren worden, in Billwerder aufgewachsen, früh in die SPD eingetreten, von Heinrich Klink gefördert und in der NS-Zeit inhaftiert, aus politischen Gründen entlassen und im Bewährungsbataillon 999 an die Front geschickt worden. Nachdem er das Mandat im Jahr 1946 erlangte hatte, behielt er es bis 1972 inne. Daneben arbeitete er als Redakteur für das Hamburger Echo und nach dessen Einstellung für die Hamburger Morgenpost. Bis zu seinem plötzlichen Tod im Jahr 1973 lebte er im Billstedter Mühlenweg 14.
Nach Jenkels Tod im Jahr 1956 bleiben die Überreste des Siemershofs noch über ein Jahrzehnt bestehen. Erst Ende der 1960er Jahr fielen sie der Neugestaltung des Billstedter Zentrums zum Opfer. Zur gleichen Zeit benannte man auch eine neuangelegte Siedlungsstraße im nördlichen Bereich des Öjendorfer Wegs nach Ernst Emil Jenkel. Angesichts all dessen, was über Jenkel bekannt ist, eine Entscheidung, die man durchaus in Zweifel ziehen kann. Zumindest steht er hinsichtlich seiner Integrität und seines Vorbildcharakters doch um einiges hinter Heinrich Klink und Karl Strutz, denen ebenfalls Straßen gewidmet worden sind, zurück. Wohlstand, persönlicher Ehrgeiz und Machtbewusstsein sollten zumindest noch nicht unbedingt hinreichende Bedingungen sein für eine solche Ehrbezeugung.
(aus: Billstedter Facetten. Siebzehn Beiträge zur Geschichte Billstedt)