Die Billstedter Stolpersteine
Die hier wiedergegebenen Kurzbiographien basieren auf den umfangreichen Recherchen von Hildegard Thevs. Sie sind auch in einer Broschüre der Landeszentrale für Politische Bildung publiziert.
Billbrookdeich 152:
Theodor Tuch, Dr. phil., geb. 20.4.185 in Hamburg, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, deportiert am 21.9.1942 nach Treblinka
Clara Tuch, geb. Levie, geb. 12.5.1875 in Hamburg, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, deportiert am 21.9.1942 nach Treblinka
Theodor Tuch war das älteste von fünf Kindern der jüdischen Eheleute Gustav und Caroline Tuch. Er studierte an verschiedenen deutschen Universitäten Philosophie und Mathematik und kehrte nach seiner Promotion in Jena nach Hamburg zurück. Hier trat er 1892 als Prokurist in die Firma seines Schwagers Georg Porges, das Unternehmen J.H.C. Karstadt, ein. Das Unternehmen war 1847 als Lappenfärberei gegründet worden, entwickelte sich zu einer industriellen Wäscherei und Färberei mit bis zu 230 Beschäftigten, galt damit als größtes Unternehmen seiner Art in Hamburg und hatte seinen Sitz am heutigen Billbrookdeich. Theodor Tuch sowie seine Schwester erhielten von ihrem Vater jeweils 25.000 Goldmark, die sie in das Unternehmen investierten. 1897 heiratete Theodor Tuch Clara Levie. Ein Jahr später wurde Sohn Hans geboren, 1901 folgte Tochter Edith. 1918 wurde das Unternehmen in eine GmbH umgewandelt, Theodor Tuch wurde Geschäftsführer, Georg Porges sein Stellvertreter. Da sich Georg Porges ein weiteres Unternehmen aufbaute, wurden 1928 Alfred Lehmann und Otto-Erich Blumenfeld zu Prokuristen ernannt. Letzterer, ein Kaufmann und Färber jüdischen Glaubens, hatte vier Jahre zuvor Theodor Tuchs Tochter Edith geheiratet. In der Weltwirtschaftskrise geriet das Unternehmen durch eine Betriebsgemeinschaft mit dem bis dahin schärfsten Konkurrenten Busch in finanzielle Schwierigkeiten. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung machte ihm zudem der von Partei und Behörden angeordnete Entzug von Aufträgen zu schaffen. Otto-Erich Blumenfeld, sogenannter „Mischling 1. Grades“, wurde nun Eigentümer der Firma, während der andere Prokurist Alfred Lehmann in die Niederlande emigrierte. Als Blumenfeld 1938 nach dem November-Pogrom verhaftet wurde und nur unter der Bedingung, das Land zu verlassen, aus dem KZ Sachsenhausen freikommen konnte, bereitete er die Auswanderung seiner Familie in die USA vor. Bis dahin hatten sie das Unternehmen trotz der widrigen Umstände erfolgreich führen können. Angesichts der noch immer beträchtlichen Zahl von etwa 200 Beschäftigten, erlaubte man Theodor Tuch, die Firma weiterzuleiten, allerdings nur unter der Auflage, über seinen Geschäftsanteil nur mit behördlicher Genehmigung zu verfügen, für seinen Lebensunterhalt sowie den seiner Frau lediglich 600 RM zu entnehmen und eine „Sühneleistung“ von 6.400 RM zu zahlen. Ein halbes Jahr später wurde das Unternehmen dann arisiert; es ging in den Besitz von Hermann Friedrich Schneider aus Pinneberg über. Der neue Eigentümer musste 70% des „Entjudungsgewinns“ an das Deutsche Reich abführen. Das Ehepaar Tuch, das 1934 auf das Firmengelände gezogen war, nachdem es zuvor an verschiedenen Stellen in Hamm und Borgfelde gewohnt hatte, wurde 1941 zusammen mit einer Lehrerin in einem Einfamilienhaus in Volksdorf einquartiert. Der Lebensunterhalt war im September 1939 auf 500 RM und im Februar 1940 bei nachgewiesenen monatlichen Ausgaben von 500 RM auf 450 RM gekürzt worden. Am 19. Juli 1942 wurden die Eheleute Tuch dann nach Theresienstadt deportiert. Die 5.858 RM, die ihnen zu diesem Zeitpunkt noch vom Grund- und Betriebsvermögen der Firma J.H.C. Karstadt geblieben waren (1934 hatten die Geschäftsanteile von Theodor Tuch noch 48.000 RM betragen), musste er für die „Heimeinkaufsverträge“ an den Jüdischen Religionsverband in Hamburg abtreten. Bereits am 21. September 1942 folgte für die beiden die Deportation in das Vernichtungslager Treblinka. Vermutlich wurden sie dort unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet. Georg Porges hatte sich bereits am 2. Februar 1942 das Leben genommen. Seine Frau Helene, Theodor Tuchs Schwester, war schon 1932 verstorben. Die Witwe Recha Würzburg, die er daraufhin geheiratet hatte, war ebenfalls am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert worden. Sie gelangte im Februar 1945 im Alter von 85 Jahren mit dem einzigen Transport in die Schweiz in die Freiheit. Nach dem Ende des NS-Zeit wurde die Firma J.H.C. Karstadt zu 50% im Restituierungsverfahren an Theodor Tuchs Tochter Edith Blumenfeld zurückgegeben. Am 31. Dezember 1965 wurde der Betrieb eingestellt. Anfang der 1980er Jahre folgte der Abriss der Anlagen.
Billstedter Hauptstraße 8:
Simon Laser, geb. 18.10.1882 in Wongrowitz, deportiert am 6.12.1941 nach Riga
Paula Laser, geb. Schleimer, geb 8.1.1881 in Kahlbude, deportiert am 6.12.1941 nach Riga
Simon und Paula Laser kamen um 1910 nach Schiffbek. Seine Familie stammte aus Wongrowitz in der Provinz Posen und gehörte zu den assimilierten, aber doch traditionsbewußten preußischen Juden, sie wurde im westpreußischen Kahlbude geboren. 1908 war dort Sohn Max geboren worden, 1915 folgten der zweite Sohn Rudi und 1919 die Tochter Lieselotte. Noch vor dem ersten Weltkrieg gründete Simon Laser, der von Beruf Schneider war, an der heutigen Ecke Billstedter Hauptstraße/Legienstraße das Bekleidungsgeschäft Vulkan, ein Bekleidungsgeschäft für Herren- und Berufskleidung. 1925 konnte er auf der gegenüberliegenden Straßenseite das gesamte Erdgeschoss eines Gebäudes erwerben. Es umfasste 5-6 Zimmer sowie ausreichend Geschäfts- und Lagerräume, die er aufwändig aus- und umbauen ließ. Der Laden selbst wurde mit drei großen Schaufenstern versehen. Neben den Familienmitgliedern arbeiteten ein oder zwei Angestellte im Geschäft und eine Hausgehilfin bzw. Köchin im Haushalt mit. Das Geschäft sicherte der Familie ein bürgerliches Leben. Dazu gehörten Sommerreisen, bevorzugt in die Badeorte an Nord- und Ostsee, sowie der Erwerb von Kunstgegenständen. Als Paula Laser kränkelte, verbrachte sie einen Kuraufenthalt in Wiesbaden. Ab 1933 erlitt das Geschäft zunehmend Einbußen, insbesondere das Abzahlungsgeschäft ging zurück. Rudi Laser, der nach dem Besuch der Talmud Tora Schule am Grindelhof zunächst eine kaufmännische Ausbildung begonnen und dann die staatliche Handelsschule besucht hatte, machte sich 1936 als Vertreter für Konfektion und Stoffe selbständig, wobei er sein Büro im elterlichen Geschäft hatte. Im Juli 1938 gab er diese Unternehmung jedoch auf und wanderte nach Argentinien aus. Vermutlich im Mai 1939 wurde dann das elterliche Geschäft geschlossen und wenig später im Zuge einer Straßenerweiterung abgebrochen. Als Jude erhielt Simon Laser keine Entschädigung und konnte aus rechtlichen wie materiellen Gründen nirgendwo neu beginnen. Die Familie zog in die Heinrich-Barth-Straße 17. Simon Laser fand zunächst eine Beschäftigung als Erdarbeiter, doch bald erhielt die ganze Familie Wohlfahrtsunterstützung. 1940 starb die Tochter Lieselotte, die eine kaufmännische Ausbildung gemacht und nach dem Novemberpogrom von 1938 ihre Anstellung verloren hatte, an einer Lungentuberkulose. Ihr Bruder Max war bereits 1924 an einer Kopfgrippe erkrankt, die ihn zeitlebens arbeitsunfähig machte. 1941 starb er an Schüttellähmung und einer Lungenentzündung. Simon und Paula Laser wurden am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert. Dort verliert sich ihre Spur. Vermutlich wurden sie wenig später zusammen mit vielen anderen tausend deportierte Juden erschossen.
Billstedter Hauptstraße 50:
David Daniel Isenberg, geb. 26.4.1861 in Hamburg, gest. 22.2.1943 in Theresienstadt
Roline (Rosa Karoline) Isenberg, geb. Isenberg, geb. 1872 in Hamburg, gest. 27.2.1944 in Theresienstadt
David und Roline Isenberg waren Cousin und Cousine. Ihre Väter stammten aus Bremke bei Göttingen. Spätestens seit 1895 betrieb David zusammen mit seinem Bruder Leopold in der Wexstraße 1, wo auch seine Eltern wohnten, einen Großhandel für Schuhwaren Stoffe und Tuche. 1905 verlegten sie das Geschäft in die Amelungstraße 13/14 und beschränkten sich auf den Handel mit Schuhwaren. 1909 heirateten David und Roline Isenberg. Roline, deren Mutter aus Schweden stammte und deren Vater ein Lotteriegeschäft betrieb, hatte eine Ausbildung zur Schneiderin gemacht, war mit 20 Jahren zu Hause ausgezogen und hatte in der Folgezeit in verschiedenen norddeutschen Städten gearbeitet. Infolge des Ersten Weltkriegs erlitt das Geschäft erhebliche Einbußen, 1915 siedelten Roline und David Isenberg zusammen mit seinem Vater nach Schiffbek über. Wann er dort ein neues Geschäft eröffnete, ist nicht überliefert. 1930 betrieb er in der heutigen Billstedter Hauptstraße ein Schuhgeschäft mit Werkstatt. Daneben gab es ein Kontor in der Möllner Landstraße, die Wohnung befand sich im heutigen Korverweg. 1934 zog das Ehepaar Isenberg zurück nach Hamburg und wohnte zur Untermiete in Harvestehude, obwohl sein Wohlstand es ihm erlaubt hätte, eine Wohnung zu mieten oder zu kaufen. Die Gründe für diesen Umzug sind unklar; möglicherweise steht er im Zusammenhang mit dem Boykott jüdischer Geschäfte im April 1933. 1942 musste das Ehepaar Isenberg in die Schlachterstraße 40/42 umsiedeln, die jetzt als „Judenhaus“ für die Vorbereitung der Deportationen diente. Dies war das Haus, in dem Roline Isenberg 40 Jahre lang mit ihren Eltern gelebt hatte. Am 19.7.1942 wurden sie, inzwischen 70 bzw. 81 Jahre alt, in das „Altersgetto“ von Theresienstadt gebracht. David Isenberg starb dort am 22. Februar 1943 an „Enteritis“, einer im Getto infolge unzureichender Hygiene, mangelhafter Ernährung und ungewisser Zukunft grassierenden tödlichen Krankheit. Seine Frau Roline starb ein gutes Jahr später. Im Jahr 2003 erforschte eine neunte Hauptschulklasse der Schule Möllner Landstraße die Lebensgeschichte des Ehepaars Isenberg. Für diese Arbeit wurde sie mit dem Bertini-Preis ausgezeichnet.
Billstedter Mühlenweg 16:
Martha Mende, geb. 19.6.1914 in Schiffbek, gest. 29.10.1945 in der „Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien“
Martha Mende wurde als Kind eines Polizisten geboren. Ihre alkoholkranke Mutter vernachlässigte sie, sie blieb in der Entwicklung zurück. Erst mit zwei Jahren lernte sie laufen, mit vier Jahren sprechen. Dass sie fast taub war, blieb lange Zeit unbemerkt. Als ihr Vater zum Wehrdienst einberufen wurde, kam sie in ein Hamburger Waisenhaus. Nach Kriegsende heiratete ihr Vater erneut, Martha konnte zunächst nach Hause zurückkehren. Am 24. Mai 1924 wurde sie dann in die damaligen Alsterdorfer Anstalten aufgenommen, da für sie zuhause keine weitere Erziehung möglich sei. Bei einer vorausgegangenen Untersuchung war festgestellt worden, das Martha Mende kaum sprach, alle Fragen mit „Martha Mende“ beantwortete, schwächlich wirkte, schielte, nachts einnässte, sich nicht selbständig an- und auszog, schwer verträglich und unfähig zu Handreichungen ist und keine Schule besucht hat. Nach einer besseren Diagnose wurde sie im August 1924 in die Vorschulklasse aufgenommen. Trotz mehrerer Erkrankungen und ihrer Schwerhörigkeit absolvierte sie die Schule mit gutem Erfolg und verließ sie im März 1932. Mit dem Schulabschluss erlosch aus Sicht des zuständigen Landeshauptmannes in Kiel die Notwendigkeit für Martha Mendes Unterbringung in Alsterdorf. Sie wurde in das Kinderheim des Kreises Stormarn in Lohbrügge überstellt, von wo ihre Eltern sie nach Hause holten. Während all der Jahre in der Alsterdorfer Anstalt hatten sie sich kaum um ihre (Stief-)Tochter gekümmert. Jetzt hofften sie, dass sie im Haushalt mithelfen könnte und man zugleich die monatlichen 25 RM für die Heimunterbringung einsparen könnte. 1940 wurde sie dann erneut in die Alsterdorfer Anstalten aufgenommen. Mit der Begründung, sie sei geistesschwach und nicht fähig, ihre Angelegenheiten selbständig zu erledigen, wurde sie entmündigt. Nach den schweren Luftangriffen auf Hamburg wurde sie im August 1943 zusammen mit anderen Bewohnern der Alsterdorfer Anstalten in die „Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalten der Stadt Wien“ überwiesen. Dort blieb sie weitgehend passiv und pflegebedürftig, aber ruhig. Innerhalb von sieben Monaten magerte sie von 48 kg auf 39 kg ab. Sie wurde hinfälliger, verwirrter und war ab September 1945 nicht mehr transportfähig. Schließlich verstarb sie am 29.10.1945 im Alter von 31 Jahren. Bei ihrem Tod wog sie noch 29,5 kg.
Horner Landstraße 416:
Jonny Rummel, geb. 15.12.1924 in Hamburg, erschossen am 8.2.1945 in Königsberg
Jonny Rummels Mutter stammte aus der Ukraine. Er hatte eine zwei Jahre ältere Schwester sowie zwei jüngere Halbbrüder. Sein Stiefvater John Trettin war Mitglied der KPD. Dieser wurde im September 1933 verhaftet und acht Wochen später in seiner Zelle im KZ Fuhlsbüttel tot aufgefunden. Jonny Rummel beendete die Volksschule und trug anschließend als Arbeitsbursche zum Familienunterhalt bei, bis er zur Wehrmacht eingezogen wurde. Ende Januar 1945 verlor er zusammen mit zwei anderen Soldaten bei Königsberg in Ostpreußen den Kontakt zu seiner Einheit. Gemeinsam kamen sie bei einer Frau unter, um sich ein wenig auszuruhen. Am 3. Februar 1945 wurden sie von einer Wehrmachtstreife aufgespürt und vor das Kriegsgericht gebracht. Dieses verurteilte sie wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ zum Tode. Das Gnadengesuch wurde abgelehnt, am 8. Februar 1945 das Urteil vollstreckt. Der Abschiedsbrief an seine Mutter endet mit folgenden Zeilen: „Nur wegen ein paar Tagen, die wir uns ausgeruht haben, müssen wir nun unser Leben lassen. Liebe Mutter, tut mir ja leid, dass ich Dir es schreiben muss, denn ganz ohne Wissenheit will ich es Dir auch nicht zumuten. Du wirst auch ein Schreiben vom Kriegsgericht bekommen. Möge Euch Gott beschützen, dass ihr den Krieg überleben und noch recht lange in Gesundheit und recht lange in Frieden leben werdet. Und nun, liebe Mutter, zum Schluss meines letzten Briefes sei recht herzlich gegrüßt und geküsst, von Deinem Sohn Jonny. Halte Dich tapfer und möge Dich Gott behüten.“
John Trettin, geb. 30.5.1892 in Hamburg, gest. 6.11.1933 im KZ Fuhlsbüttel
John Trettin wuchs zusammen mit fünf Geschwistern in der Hamburger Neustadt sowie in St. Pauli auf. Sein Vater war Schlosser. Er selbst absolvierte nach der Volksschule eine Dreherlehre. Im Ersten Weltkrieg wurde er verwundet und desertierte 1918. Nach Kriegsende arbeitete er als Steinträger und zog nach Horn, wo er 1928 die geschiedene Katharina Rummel heiratete. Zu ihren beiden Kindern Else und Jonny kamen zwei weitere Söhne hinzu. 1932 zog die Familie in die Horner Landstraße. Als John Trettin arbeitslos wurde und auf Wohlfahrtsunterstützung angewiesen war, litt die Familie große Not. Eine befreundete Familie gestattete ihnen die Mitbenutzung ihres Schrebergartens. Später erwarben sie einen eigenen. Zunächst hatte sich Trettin in der kommunistischen Gruppierung „Roter Oktober“ engagiert, dann war er bis zum Verbot der KPD im März 1933 Kassenwart der Horner KPD. Die Waffe, die er besaß, vergrub er ohne dessen Wissen im Garten seines Freundes Wilhelm Zwanziger. Am 10. September 1933 wurde er verhaftet und zusammen mit Zwanziger wegen illegalem Waffenbesitz angeklagt. Hintergrund für diese Verhaftung bildete angeblich ein Attentatsversuch auf den Hamburger Gauleiter und Reichsstatthalter Karl Kaufmann in einem Lokal in Horn. Zu einer Verurteilung Trettins kam es nicht mehr: Am 6. November 1933 wurde er erhängt in seiner Zelle im KZ Fuhlsbüttel aufgefunden. Zuvor war er offensichtlich schwer gefoltert worden, vermutlich, um die Namen von Mittätern zu nennen. Bei der Leichenschau wurden blutunterlaufene Stellen im Gesicht sowie an Hals und Körper festgestellt; seiner Frau wurden aus dem Nachlass an Kleidung lediglich zwei Schuhe, ein Strumpf und ein Taschentuch übergeben. Seine damals 11-jährige Tochter erkannte ihn nicht, so entstellt war der Leichnam durch die blutverkrusteten Hände, die gebrochenen Finger und die Würgemale am Hals. Mithäftlinge bestärkten Katharina Trettin in der Vermutung, dass ihr Mann ermordet worden war. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurde er auf dem Schiffbeker Friedhof beigesetzt.
Klinkstraße 14:
Willi Winkelmann, geb. 13.6.1901 in Winsen/Luhe, gest. 24.12.1944 in Jarken/Ostpreußen
Willi Winkelmann absolvierte nach der Volksschule eine Schlosserlehre. Anschließend wechselten Phasen der Beschäftigung und Phasen der Erwerbslosigkeit. Unter anderem arbeitete er bei Blohm & Voss und der Vulkanwerft, ehe er 1934 bei der Jutespinnerei und -weberei in Billstedt anfing. 1926 hatte er geheiratete, 1927 wurde ein Sohn geboren, 1940 ein weiterer Sohn, 1942 eine Tochter. Bereits 1919 war er dem Metallarbeiter-Verband beigetreten, 1928 folgten der Eintritt in die SPD und das Reichbanner. Der SPD gehörte er bis zu ihrem Verbot 1933 an ohne Funktionen zu übernehmen. Im Herbst 1933 gehörte er zu zwölf Sozialdemokraten aus Billstedt und Wandsbek um Hermann Blume, die sich darum bemühten, eine illegale Organisation aufzubauen. Das erste Treffen fand bei Willi Winkelmann statt, der damals in der Kleingartenkolonie Goldkoppel am heutigen Schiffbeker Weg wohnte. Es kam jedoch nur eine Gruppe zustande, die illegale Schriften vertrieb, mit denen Informationen verbreitet sowie der Widerstand propagiert wurde und aus deren Erlös man Angehörige von „Schutzhäftlingen“ unterstützte. Am 18. Juni 1935 wurde Willi Winkelmann verhaftet. Zunächst kam er in das KZ Fuhlsbüttel, später in das Untersuchungsgefängnis. Im Verfahren „Blume und Genossen“, das am 12. Dezember 1935 endete, wurde er wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu 15 Monaten Haft verurteilt. Die anderen Angeklagten erhielten 3 bis 36 Monate. Unter Anrechnung der Untersuchungshaft kam er im September 1936 frei und fand umgehend Arbeit bei der Deutschen Werft. Gleichwohl er dort kriegswichtige Arbeit leistete, wurde er im Februar 1943 zum Bewährungsbataillon 999 eingezogen. Da er bereits 42 Jahre alt und nicht ganz gesund war, kam er nicht an die Front, sondern zu einem Baubataillon, das im Osten eingesetzt wurde. Als Angehöriger des Bewährungsbataillons erhielt er keinen Heimaturlaub. Lediglich bei einer Durchreise konnte seine Familie für eineinhalb Tage besuchen. Am 24. Dezember 1944 fiel er in Jarken in Ostpreußen auf dem Rückzug vor der Roten Armee.
Legienstraße 113:
Erich Kistner, geb 7.5.1935, gest. 21.8.1943 in der „Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof“ in Idstein/Taunus
Erich Kistner war das jüngste von drei Kindern von Walter Kistner und Gertrud, geb Böttcher. Ab dem zweiten Lebensjahr bekam Erich Krampfanfälle, anfangs nur alle vier bis acht Wochen, später bis zu mehrmals täglich. Im Juni 1939 brachte ihn seine Mutter in die Nervenklinik Friedrichsberg. Zu diesem Zeitpunkt wog er bei einer Körpergröße von 108 cm nur 15 kg. In seiner geistigen, sprachlichen und motorischen Entwicklung war das Kind zurückgeblieben. Nach nur wenigen Tagen wurde Erich mit der Disgnose „jugendliche Epilepsie“ in die Alsterdorfer Anstalten verlegt. Zunächst wurde ihm Luminal, später Glyboral verabreicht, ohne dass dies zu einer Verbesserung seines Zustandes führte. Zwar wurden die Anfälle seltener, er machte Fortschritte beim Gehen, lernte mit dem Löffel zu essen und trocken zu bleiben, doch sein Wortschatz blieb klein, er warf mit Spielzeug auf andere Kinder statt damit zu spielen und verletzte gelegentlich Mitpatienten durch Kratzen und Bisse. Infolge zunehmenden Schwindels musste er häufig das Bett hüten und wurde vollends pflegebedürftig. Im Alter von nur sieben Jahren wurde er auf die Männerabteilung verlegt. Nun stand er gar nicht mehr auf, aß nur noch Brot und Kartoffelbrei, zerriss mit den Zähnen Bett- und Leibwäsche und wehrte sich gegen die Körperpflege. Als im August 1943 wegen der Überfüllung und Beschädigung der Anstalt durch die Luftangriffe Bewohner für den Abtransport in andere Heil- und Pflegeanstalten ausgewählt wurden, gehörte Erich Kistner zum ersten Transport, der am 7.8. in die „Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof“ bei Idstein im Taunus ging. Dort wurde er nach nur zwei Wochen Aufenthalt am 21. August ermordet.
Möllner Landstraße 107:
Hermann Martinius, geb. 20.7.1888 in Horneburg, gest. 26.1.1945 Zuchthaus Hameln
Hermann Martinius wurde in Horneburg im Kreis Stade als Sohn eines Kolonialwarenhändlers geboren. Nach der Volksschule besuchte er das Gymnasium in Stade, das er jedoch aufgrund des frühen Todes seines Vaters nach der Obertertia verließ, um sich auf die Übernahme des elterlichen Geschäfts vorzubereiten. Er absolvierte eine Lehre zum Verkäufer und arbeitete anschließend als kaufmännischer Angestellter. Er heiratete und wurde 1912 Vater eines Sohnes. Im Ersten Weltkrieg erlitt er eine Sehnenverletzung, durch die er frontuntauglich wurde. Auf die Auszeichnung mit dem Frontkämpfer-Ehrenkreuz verzichtete er. Nach Kriegsende arbeitete er zunächst als Lagerverwalter in Wesermünde. 1923 siedelte er dann nach Hamburg über, wo er sich als Vertreter für Wäsche, Hüte und Mützen selbständig machte. Er heiratete hier ein zweites Mal; 1933 wurde eine Tochter geboren. Aufgrund einer schweren „Kopfgrippe“ im Jahr 1931 musste er seine Tätigkeit als Handelsvertreter aufgeben. Erst 1936 fand er wieder eine Anstellung beim Heereszeugamt in Glinde, wo er zunächst als Arbeiter, später als Bote tätig war. Vermutlich aufgrund einer Denunziation wurde er am 21. März 1944 von der Gestapo verhaftet und in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel gebracht. Bei einer Hausdurchsuchung wurde ein Rundfunkgerät sichergestellt, mit dem er regelmäßig Sendungen der englischen BBC gehört haben soll, was gesetzlich verboten war. Außerdem fand die Gestapo bei ihm eine Zeitungsausschnittsammlung aus den Jahren 1940-43, in der durch Unterstreichungen und Kommentare die negative Einstellung Martinus‘ zum NS-Regime deutlich wurde. Am 20.6.1944 wurde er vom Hamburger Sondergericht deshalb zu drei Jahren Zuchthaus und Ehrverlust verurteilt. Er wurde in das Zuchthaus Hameln überstellt, wo er am 22.1.1945 an Durchfällen erkrankte. Am 26.1.1945 kam er nach einem Kollaps ins Lazarett, wo er noch am selben Tag unter Erscheinungen der akuten Herzschwäche verstarb. Verursacht worden war die Erkrankung von Martinus‘ angeblich durch das Trinken gebrauchten Maschinenöls. Er selbst soll dies bestätigt haben. Die näheren Umstände ließen sich nicht erhellen.
Oberschleems 29:
Adolf Rembte, geb. 21.7.1902 in Kirchsteinbek, hingerichtet am 4.11.1937 in Berlin-Plötzensee
Adolf Rembte erlernte nach der Schule den Bäckerberuf, trat 1919 in die Sozialistische Arbeiterjugend ein und betätigte sich früh als Redakteur der „Hamburger Volkszeitung“. 1922 trat er in die KPD ein, im Oktober 1923 war er während des Hamburger Aufstands Mitglied des Schiffbeker Vollzugsausschusses. 1927 sandte ihn die Partei zur Ausbildung an die Lenin-Schule nach Moskau. Nach seiner Rückkehr im Jahr 1930 bekleidete er verschiedene Funktionen innerhalb der KPD in Halle-Merseburg und Berlin. Nach dem Verbot der KPD im Jahr 1933 agierte er im Untergrund, bei seiner Verhaftung im März 1935 gehörte er der Parteileitung in Berlin an. Nach zweijähriger Untersuchungshaft wurde er zusammen mit anderen gleichzeitig verhafteten ab dem 4. Juni 1937 vor dem Volksgerichtshof in Berlin wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ angeklagt. Adolf Rembte sowie Robert Stamm wurden zum Tode verurteilt, Max Maddalena erhielt lebenslängliches Zuchthaus, Walter Griesbach sowie Käthe Lübeck 12 Jahre Zuchthaus. Trotz Protesten aus dem In- und Ausland wurden Rembte und Stamm am 4. November 1937 im Gefängnis Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Öjendorfer Weg 11/Gedenkstein vor dem Ortsamt:
Joseph Florczak, geb. 15.3.1903 in Schiffbek, gest. 14.3.1933 im Kreiskrankenhaus Bad Oldesloe
Die Familie von Joseph Florczak stammte aus Polen sowie aus dem Sudetenland. Seine Eltern waren um die Wende zum 20. Jahrhundert nach Schiffbek zugewandert, wo sie in der Jutespinnerei und -weberei arbeiteten. Sie bewohnten eine Werkswohnung mit der Anschrift Spinnhäuser 151. Joseph hatte noch einen zwei Jahre jüngeren Bruder. Beide wurden in der katholischen St. Paulus-Kirche getauft. Joseph wurde Arbeiter wie sein Vater und schloss sich der KPD an. Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand in Berlin in der Nacht auf den 28.2.1933 erließ der Reichpräsident Hindenburg auf Vorschlag des Reichskanzlers Hitler die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“, womit faktisch alle bürgerlichen Rechte aufgehoben wurden. Der damalige Hamburger Polizeisenator Schönfelder (SPD) ließ daraufhin das Parteibüro der KPD schließen. Flugblätter, Plakate und Druckschriften für die bevorstehende Reichstagswahl wurden beschlagnahmt, 75 Funktionäre verhaftet, weitere verfolgt. In der Wahlnacht selbst kam es in Billstedt zu einer Schießerei, über die die Zeitungen wie folgt berichteten: „Bewaffneter Kommunist auf der Flucht angeschossen. In der Wahlnacht wurde in Billstedt ein bekannter Kommunist von der Polizei gestellt, der eine Waffe bei sich trug. Als er der Aufforderung, stehen zu bleiben, nicht nachkam, wurde auf ihn geschossen. Er wurde mit einer schweren Verletzung ins Krankenhaus gebracht.“ Der bewaffnete Kommunist war Joseph Florczak, das Krankenhaus das in Bad Oldesloe. Am 14.3. verstarb Joseph Florczak dort im Alter von 29 Jahren. Unter Anteilnahme seiner Genossen und Genossinnen wurde er auf dem Friedhof in Kirchsteinbek beigesetzt.
Öjendorfer Weg 41:
Katharina Corleis, geb. Engelke, geb. 15.12.1877 in Groß-Fredenbeck, gest. 25.6.1935 im KZ Fuhlsbüttel
Katharina Corleis stammte ebenso wie ihr Mann Friedrich aus der Gegend um Stade. Nach der Heirat erwarben sie das Grundstück Öjendorfer Weg 41, wo sie eine kleine Gärtnerei betrieben. Friedrich Corleis arbeitete zudem bei den Gaswerken. Das Ehepaar Corleis hatte zwei Töchter und drei Söhne, die in der Gärtnerei mithalfen und Obst, Gemüse und Blumen in Hamm verkauften. In den 1930er Jahren errichtete die Familie Corleis auf dem Grundstück ein Wohnhaus. Katharina und Friedrich Corleis waren in der SPD organisiert und gehörten der Konsumgenossenschaft „PRO“ an. In der Nacht vom 17. auf den 18. Juni 1935 wurde Katharina Corleis ebenso wie 47 weitere Männer und Frauen aus Billstedt von der Gestapo verhaftet. Ihr wurde vorgeworfen, weiterhin für die 1933 verbotene SPD aktiv zu sein, einen wichtigen Posten zu bekleiden und illegale Schriften zu besitzen und diese zu verteilen. Als sie gegen die Verhaftung Einspruch erhob, wurde sie von den Gestapo-Leuten bepöbelt. Zunächst brachte man sie in das Polizeigefängnis Stadthaus, von wo aus sie in das KZ Fuhlsbüttel verlegt wurde. Dort kam sie in der Nacht zum 25. Juni 1935 durch Erhängen zu Tode. Sie war die erste Frau, die im KZ Fuhlsbüttel starb. Bei der Einäscherung im Ohlsdorfer Krematorium wurde es der Familie strikt untersagt, bei der Leichenschau näher zu treten. Eine Beisetzung der Urne auf dem Schiffbeker Friedhof wurde nur unter der Bedingung erlaubt, dass daran kein Gefolge teilnimmt. Die übrigen Verhafteten, die zu der gleichen Gruppe wie Katharina Corleis gehört und seit Weihnachten 1934 unter der Beobachtung der Gestapo gestanden hatten, wurden vom Hanseatischen Oberlandesgerichts wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu Haftstrafen zwischen 15 Monaten und 3 Jahren verurteilt. Tatsächlich hatte sie von den eingesammelten Geldern Menschen, die durch das NS-System in Not geraten waren, durch kleine Beträge finanziell unterstützt.
Schiffbeker Weg 9:
Rudolf Krooß, geb. 10.1.1910 in Hamburg, gest. 31.8.1938 am Ebro, Spanien
Rudolf Krooß war als Maschinenschlosser bei de Jutespinnerei und -weberei beschäftigt. Er engagierte sich bei der Gewerkschaft und in der KPD, wo er als Gruppenkassierer tätig war. 1932 wurde er arbeitslos, am 5.3.1933 kam er in „Schutzhaft“. Nach seiner Haftentlassung am 22.12.1933 setzte er seine Tätigkeit für die mittlerweile verbotene KPD fort. Am 25.8.1934 heiratete er Wilma Schulze, die Tochter von Fiete Schulze, dem Anführer der Schiffbeker Kommunisten im Hamburger Aufstand von 1923. Am 3. Januar 1935 wurde die Tochter Rita geboren. Nach der Hinrichtung Fiete Schulzes am 6.6.1935 emigrierte Rudolf Krooß nach Prag, seine Frau Wilma sowie die nicht einmal ein Jahr alte Rita folgten im Dezember. Bei Kälte und Schnee überquerten sie nachts heimlich die Grenze, wobei Wilma die ganz Zeit ihre Tochter im Arm trug. Nach einiger Zeit setzten sie ihre Flucht in die Sowjetunion fort; im Mai 1936 erreichten sie Moskau, wo sie auf zahlreiche Freunde von Fiete Schulze trafen. Nach Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs meldete sich Rudolf Krooß bei den internationalen Brigaden. Er kämpfte als Leutnant des Etkar-Andre-Bataillons gegen das Franco-Regime und starb nach einer Verwundung im August 1938 in einem Lazarett am Ebro. Unklar ist, ob letztlich die Verletzung tödlich war oder ob er dem im Lazarett grassierenden Typhus zum Opfer fiel. Wilma Krooß verdiente sich ihren Lebensunterhalt in der Sowjetunion mit verschiedenen Tätigkeiten, unter anderem als Traktorfahrerin und Dolmetscherin, und kehrte im Mai 1946 nach Billstedt zurück, wo sie zunächst bei ihren Großeltern unterkam. 1947 heiratete sie den Widerstandskämpfer Rudolf Giffey. Ein Jahr später wurde der gemeinsame Sohn Werner geboren.
Fiete Schulze, geb. 22.10.1894 in Schiffbek, hingerichtet am 6.6.1935 im Untersuchungsgefängnis Hamburg
Die Eltern von Fiete (eigentlich Fritz Karl Franz) Schulze waren beide bei der Norddeutschen Jute-Spinnerei und -weberei beschäftigt. Er wuchs mit drei Brüdern und einer Schwester auf; neun Geschwister waren im Kindesalter gestorben. Nach Abschluss der Volksschule absolvierte er eine Schlosserlehre auf der Werft Blohm & Voss und arbeitete dort anschließend als Nieter. Noch während der Lehrzeit trat er der Gewerkschaft bei, 1913 wurde er, ebenso wie sein Vater, Mitglied der SPD. Er heiratete, seine Frau Johanna bekam drei Kinder, von denen allerdings zwei bereits im Kindesalter starben. Im Ersten Weltkrieg wurde Fiete Schulze schwer verwundet. 1919 verließ er die SPD und schloss sich der USPD an, die sich 1917 von der SPD abgespalten hatte. Er beteiligte sich an der Niederschlagung des Kapp-Putsches und schloss sich nach dem Zusammenschluss von KPD und linkem Flügel der USPD im Dezember 1920 der neugegründeten Schiffbeker Ortsgruppe der KPD an, wo er den Aufbau eines militärischen Ordnungsdienstes übernahm. In dieser Zeit war er als Vorarbeiter bei der Veddeler Reismühle beschäftigt. Angesichts der durch Arbeitslosigkeit und Inflation verursachten großen Not beschlagnahmte er mit einigen anderen eine Schute mit Reis, um Erwerbslosen in Schiffbek zu helfen. Als sie dabei festgenommen wurden, übernahm er die Verantwortung. Als die KPD am 23. Oktober 1923 in Hamburg und Umgebung zahlreiche Polizeiwachen überfiel, um einen landesweiten Aufstand auszulösen und die Macht in Deutschland zu übernehmen, stand Fiete Schulze an der Spitze der Schiffbeker Aufständischen. Nach der Niederwerfung des Aufstands am folgenden Tag, floh er zunächst nach Chile. 1925 kehrte er vorübergehend illegal nach Schiffbek zurück, um dann zum Studium nach Moskau zu gehen. Nach dem Abschluss in Gesellschaftswissenschaften arbeitete er als Dozent an der Universität sowie an der Moskauer Parteischule. Im Juli 1932 kehrte er wieder nach Hamburg zurück, um im Auftrag der KPD-Bezirksleitung Wasserkante eine Selbstschutzorganisation aufzubauen. Gleichwohl er auch jetzt im Untergrund lebte, trat er häufig als Redner auf. Am 16. April 1933 wurde er aufgrund einer Denunziation verhaftet. Bis August durfte ihn niemand besuchen; er wurde gefoltert, und man versuchte, ihn zu bestechen. Ab dem 13. Februar 1935 wurde er vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht wegen Vorbereitung zum Hochverrat und Landfriedensbruch angeklagt. Am 18. März wurde Fiete Schulze dreimal zum Tode sowie zu 260 Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Staatsanwalt Stegemann hatte sein Plädoyer mit den Worten „Es wäre eine schreiende Ungerechtigkeit, wenn dieser Mann mit dem Leben davonkäme. Seine Zunge ist gefährlicher als Kugeln.“ beendet. Ohne die Möglichkeit, sich von seiner Familie zu verabschieden, wurde Fiete Schulze am 6. Juni 1935 mit dem Handbeil enthauptet. Im Februar 1981 wurde das Urteil vom Hanseatischen Oberlandesgericht auf Drängen der Familie sowie von Unterstützern aufgehoben.
Steinbeker Hauptstraße 19:
Frieda Brütt, geb. 25.9.1909 in Steinbek, gest. 6.3.1944 in der „Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien“
Bei Frieda Brütts Einschulung wurde deutlich, dass sie mit ihren Altergenossen im Erlernen der Grundfertigkeiten nicht mithalten konnte. Sie lernte weder Lesen und Schreiben noch Rechnen und verließ die Schule nach der vierten Klasse. 1928 brachte sie ein Kind zur Welt, das von Geburt an in seiner Entwicklung zurückblieb und bei den Großeltern väterlicherseits aufwuchs. 1929 wurde Frieda Brütt in die Alsterdorfer Anstalten aufgenommen, nach ihrem 21. Geburtstag ein Entmündigungsverfahren eingeleitet. Überwiegend war sie dort eine unauffällige Patientin, die sich durch stilles, freundliches und hilfsbereites Verhalten auszeichnete. Negativ wurde lediglich registriert, dass sie sexuelle Interessen äußerte, zeitweilig unruhig war, und einmal aus ungeklärtem Grund eine Fensterscheibe zertrümmerte und gegen eine Mitpatientin Vorwürfe erhob. Die Verabreichung einer geringen Luminal-Dosis brachte nicht dauerhaft die gewünschte Ruhigstellung, 1937 folgte die Zwangssterilisation im Universitätsklinikum Eppendorf. Die Folge waren zuvor nicht beobachtete Wesensschwankungen und Antriebslosigkeit. Außerdem war ein dramatischer Gewichtsverlust von 67 kg auf 37,7 kg zu verzeichnen. Aufgrund der Verhaltensänderungen wurde Frieda Brütt mehrfach im Wachsaal isoliert, wo unter anderem Intensivtherapien mit Dauerbädern, Schlaf- und Fieberkuren sowie Schockbehandlungen durchgeführt wurden. Nach den schweren Luftangriffen auf Hamburg in Juli/August 1943 wurde sie mit 227 anderen Frauen und Mädchen in die „Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien“ verlegt. Sie magerte weiter ab, wurde bettlägerig und verlor völlig die Orientierung. Nach einem Sturz wurde sie in einen anderen Pavillon verlegt, wo sie am nächsten Tag verstarb. Als mögliche Todesursache werden eine Drüsentuberkulose sowie eine Menengitis genannt. Tatsächlich starb sie an Unterernährung, mangelnder medizinischer Versorgung und möglicherweise an der Überdosis eines tödlichen Medikaments. Frieda Brütt wurde 34 Jahre alt.